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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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Schädel spalten, damit er nur für eine Sekunde sehen könnte, was zum Teufel in ihrem Kopf los war.
    Der Ke’e Beach war überlaufen mit Wanderern, Badenden und Schnorchlern. Die Zufahrt lag in Dunkelheit gehüllt; von links schob sich das Blattwerk der Gebirgssträucher so weit vor, dass der Blick auf den Ozean versperrt war. Der überfüllte, provisorische Parkplatz war von uralten Wurzeln überwuchert, die sich in wildem Zickzack dahinschlängelten und die Autos in verrückten Winkeln anhoben, sodass es aussah, als seien die Fahrzeuge für immer verlassen, so abgenutzt und zerbeult und dreckbespritzt, wie sie waren. Wütend stieg David aus und lief auf den Anfang des Wanderwegs zu. Er überließ es Alice, den Fahrer zu bezahlen; anschließend redete sie leise mit sich selbst und versuchte zu ihm aufzuschließen. Er las die Warnschilder, warf einen Blick auf seine Karte und spürte einen Adrenalinstoß. Der Pfad war wie eine Treppe in einem Wolkenkratzer, und aus der Ferne sah er aus wie ein erstarrter Bach aus Steinen. Er drehte sich um und hielt nach Alice Ausschau, die jetzt schon stehen geblieben war, um die Tragegurte ihres Rucksacks einzustellen und sich die Wanderschuhe neu zu binden; sie unterschätzte, dachte er bei sich, was noch vor ihnen lag, und als sie einen Arm in den Gurt steckte und sich den Rucksack auf den Rücken schwang, ließ das Gewicht sie leicht nach hinten taumeln, woraufhin sie die Augen verdrehte und leise fluchte, als wäre sie gegen ihren Willen hier. David wurde schlecht vor Ekel, der Anblick erfüllte ihn mit der bösen Vorahnung des erfahrenen Ehemanns; Gift und Galle erwarteten ihn. Als sie den Rucksack endlich sicher auf dem Rücken hatte, ließ sie die Gurtverschlüsse zuschnappen und suchte seinen Blick; er zeigte hinauf und marschierte los.
    In der Anfangsphase des Aufstiegs legte er ein schnelles Tempo vor, Ärger und Angst trieben ihn zur Eile an und verschafften ihm einen soliden Zwanzigmetervorsprung. Er hatte nicht einmal mehr Lust, sich mit ihr zu unterhalten. Ihm sollte egal sein, ob eine Sache gefährlich war? Sie war doch diejenige, die ihn zu dieser Wanderung zwang. Er war außer sich vor Wut. Als er dann doch einen Blick zurück warf, hatte sich der Abstand zwischen ihnen zwar vergrößert, Alice schien aber nicht mehr darauf zu achten, wo er war. Er wusste, dass sie wusste, was er da tat. Es war ein Kräftemessen, eine Provokation. Er forderte sie dazu heraus, wütend abzubrechen, er würde sie zu der Einsicht zwingen, dass ihr Vorhaben unmöglich durchführbar war. Je schneller er lief, desto eher würde sie scheitern – und desto eher, meinte er, wären sie in Sicherheit.
    Aber sie hielt durch. Schließlich sah David sich gezwungen, einen Schritt langsamer zu gehen, was nicht nur dem Schwierigkeitsgrad des Aufstiegs, sondern auch der überwältigenden Schönheit des Na Pali geschuldet war. Der Pfad war steinig und übersät von Findlingen, über die er klettern, rutschen oder an denen er sich vorbeischieben musste; der Pfad wurde von Bächen unterbrochen und von Wurzeln überwuchert, die ihn straucheln und seinen Rucksack halb über den Kopf rutschen ließen, sodass er gestürzt wäre und sich verletzt hätte, wäre der Pfad nicht so steil gewesen. Auf den steilsten Abschnitten war nicht mehr zu sehen als die nächsten paar Meter des Wegs. Die Vegetation war so dicht, dass sie Wind und Sonne aussperrte und sich die Schwüle unter ihr staute. Weiter oben erreichte David eine Lichtung, und der Wind traf ihn mit voller Wucht und kühlte ihn ab, während die Sonne sein schweißnasses T-Shirt trocknen ließ. Weit unten zu seiner Rechten lag Ke’e Beach, die Badegäste waren kaum größer als Kommata, und direkt vor ihm ragten die geriffelten Klippen ins Meer, eine nach der anderen, wie die Zehen eines gigantischen Reptils. Die Steilwände waren so dicht bewachsen, dass sie aussahen wie mit Fell überzogen. Er konnte kilometerweit sehen. Ein weißer Gischtstreifen markierte die Linie, an der die Klippen ins Wasser abtauchten.
    Der Anblick beruhigte ihn, so wie der Aufstieg seinen Verstand geklärt hatte. Er wusste, was er wollte: Er wollte seine Frau zurück. Er brauchte sie. Er wollte, dass sie zusammen nach Hause zurückkehrten. Es war an der Zeit, das Ganze zu beenden. David schaute den Pfad hinunter und sah Alice keuchend herankommen. Fast hatte sie ihn eingeholt; wahrscheinlich hatte sie längst die Lichtung entdeckt, auf der er wartete. Sobald sie neben ihm

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