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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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Klippe mehrere Hundert Meter über dem Ozean befand. Nordöstlich davon stand ein Leuchtturm, der die Form einer Babyflasche hatte und aus der Entferung kaum größer als ein Fingernagel war. Auf dem Foto kam die Einsamkeit, die das rot-weiße Türmchen ausstrahlte, nicht voll zur Geltung; der ideale Ort, dachte David, falls man zum Untertauchen gezwungen war oder einen ungestörten Lebensabend verbringen wollte.
    Auch von Davids Todesangst angesichts der Sterne in jenen Nächten vermittelten die Fotos nichts. Er hielt sich die Ohren zu und starrte einsam in den Himmel, während Alice sich mit einem dumpfen Stöhnen, das wie ein alter, endlos durchdrehender Motor klang und selbst durch die geschlossenen Terrassentüren noch zu hören war, in den Schlaf weinte. Nie zuvor hatte er einen so weiten, so klaren Himmel gesehen oder einen so grausamen; jede Nacht konnte er Dutzende von Sternschnuppen beobachten und einmal sogar einen Kometen, dessen Körper heller glühte als jeder Stern und dessen Schweif eindeutig flackerte und der mit einer langsamen Bewegung auf eine katastrophale Kollision zusteuerte, und niemand konnte sagen, mit wem oder wo oder in wie vielen Lichtjahren Entfernung. Dieser Himmel war nicht sternenverhangen, sondern sternenverstopft, und aus Davids Perspektive wurde das ganze Universum zu einer Bühne für Explosionen und Beinahezusammenstöße. Kein Foto konnte seinen Gedankenzustand abbilden, die bangen Minuten und Stunden, die er halb gelähmt vor Angst damit verbrachte, sich zu fragen, ob dies vielleicht erst der Anfang war – immerhin war ihm bis jetzt noch nie etwas Schlimmeres zugestoßen. Ob nicht der Rest seines Lebens aus unentrinnbarem Leiden bestehen würde, das sich in einer Endlosschleife wiederholte, bis er seinen letzten Atemzug getan hätte. Auch konnten die Fotos nicht wiedergeben, wie golden die Sonne am Morgen strahlte und wie sehr der Anblick der ersten Strahlen ihn erleichterte, wenn er auf der Bettkante saß.
    Genauso wenig konnten die Fotos die Pracht des Waimea Canyon vermitteln, die Stille in den rötlich braunen Bergen, die durch den Anblick der kilometerweit entfernten, Hunderte Meter hohen Wasserfälle nur verstärkt wurde; Kaskaden, die durch den großen räumlichen Abstand auf winzige Wasserhaare reduziert wurden und deren Abwärtsbewegung als geflochtener Schimmer gerade noch wahrnehmbar war, während das Hirn einem weismachen wollte, man könne das Tosen hören. Oder wie es war, von ihrer hohen Warte aus siebenhundert Meter tiefer die Ziegen im Tal zu entdecken oder sich auszumalen, wie das Leben hier vor ebenso vielen Jahren ausgesehen hatte; wie es gewesen wäre, mit den Polynesiern auf dieser Insel zu landen, den Fuß daraufzusetzen in dem Glauben, das Paradies entdeckt zu haben; sich vorzustellen, man sei dort unten auf der Jagd. Zu begreifen, dass es womöglich wünschenswert war, das eigene Leben vom Überlebenskampf abhängig zu machen, nicht von der Liebe. Dass, wenn man das hier gesehen hatte, alle apokalyptischen Träume nichts weiter waren als ein jämmerliches Sehnen nach Einfachheit. Auch gaben die Bilder Alice’ Ernst nicht wieder, als sie über die Klippen starrte und mit tonloser Stimme sagte, sie fühle sich nicht länger wie eine Frau und wolle, falls das Gefühl nicht zurückkäme, nicht mehr leben.
    Ebenso wenig vermittelten die Fotos einen Eindruck davon, wie steil der Abstieg zum Hideaway Beach in Princeville war, wo ein rostiges, schwankendes Geländer aus den Betonstufen ragte, die steil wie eine Dachbodenleiter waren – »Man sollte es Fallaway Beach nennen«, witzelte David – und im wahrsten Sinne des Wortes ins Leere führten, so als wäre das Haus, zu dem sie gehört hatten, ins Meer gestürzt. Sie ließen nichts davon erahnen, dass man trotz Kauais Schönheit ständig um seine Gesundheit besorgt war; die kabbelige See riss einem die Beine weg; in den Tiefen lauerten Tigerhaie; der gesichtslose Pazifik dehnte sich ins Endlose und drohte, einen davonzutragen.
    Kein Foto konnte einen Eindruck von der gewaltigen Strömung am Ha’ena Beach vermitteln, wo das Meer zu gefährlich war, um darin zu baden, wo Schild um gelbes Schild vor Küstenabbruch und jäh abfallendem Grund warnte, wo Strichmännchen von Strichwellen zerschmettert und hinfortgespült wurden. (»Kein Wunder, dass man hier keine Strichmännchen sieht«, sagte David zu Alice, »die Idioten sind alle tot!«) Auf Davids Fotos kam das unsichtbare Tempo der flachen Flussmündung

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