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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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wäre besser dran, wenn er schneller ginge. Manche Vorgänge wurden durch zu viel Nachdenken und Bewusstsein nur gestört oder sogar verhindert, das Schlucken beispielsweise. Von seiner neuen Methode überzeugt, holte David dreimal tief Luft und ging los, wobei er mit aller Macht versuchte, ein normales Schritttempo einzuhalten und den Abgrund zu seiner Rechten auszublenden; zudem dachte er darüber nach, wann ihm jemals wieder ein derartiges Panorama geboten würde. Es funktionierte nicht. Es war, als würde er an der Dachkante eines Hochhauses entlangspazieren. Für einige Minuten war er so aufs Gehen konzentriert, dass er völlig vergaß, dass er auf der Suche nach seiner Frau war.
    Und schließlich kam er doch flotter voran. Unklar, ob es an der Übung oder an seinem wachsenden Selbstvertrauen oder an dem Pfad lag, der sich nun leicht verbreiterte – jedenfalls zwang David sich schließlich doch dazu, an seinen Erfolg zu glauben. Er hatte den Tod vor Augen und lief immer weiter; er richtete seinen Blick nach innen, ohne die Augen von einem Punkt mehrere Meter vor seinen Füßen abzuwenden; er verlangsamte seinen Schritt nur, wenn er das Gleichgewicht zu verlieren drohte wie ein Kleinkind, das zu schnell lief und vom eigenen Schwung umgeworfen wurde. Falls er doch wieder zu denken anfing – was selten vorkam –, hielt er sofort an. Und es gelang ihm jedes Mal, wieder zum alten Tempo zurückzufinden und stur in eine Gedankenlosigkeit hineinzulaufen, die von außen betrachtet wie Furchtlosigkeit wirkte. In diesem Prozess – das Nachdenken über eine selbstverständliche Bewegung, die darüber tatsächlich selbstverständlich wurde – lag die Schönheit des Wanderpfades, überlegte David, darin lag die eigentliche Leistung, und als er nach langer Zeit den Kopf hob, sah er Alice direkt vor sich und blieb stehen.
    Sie war ebenfalls stehen geblieben, schien bisher aber nicht bemerkt zu haben, dass er sich hinter ihr befand. Sie zu sehen erschütterte augenblicklich sein neues Selbstvertrauen. Sie stand am äußersten Punkt einer Linkskurve und bemühte sich verzweifelt weiterzukommen; erst jetzt, aus diesem schrägen Blickwinkel, konnte er erkennen, wie eng und gefährlich der Weg tatsächlich war. Ganz offensichtlich war Alice erschöpft, und als sie in diesem Moment einen unsicheren Schritt vortrat, schien der Rucksack sie nach hinten umzuziehen. Sie riss den rechten Arm hoch, um das Gleichgewicht zu halten, und im selben Moment sah er, dass sie die Urne in der Hand hielt.
    »Alice!«, rief er.
    Sie blieb noch einmal stehen und bewegte sich behutsam nach links, bis sie sich fast umgedreht hatte. Er sah ihr Gesicht hinter dem Tragegestell im Profil. Sie hatte Todesangst und Trauer, selbst alle Resignation weit hinter sich gelassen. Diesen Ausdruck hatte er noch nie gesehen, er zeugte von einer inneren Leere. Er konnte ihn auf seinem eigenen Gesicht spüren.
    »Bleib, wo du bist«, sagte sie. »Komm nicht näher.«
    »Was tust du da?«
    »Ich habe gesagt, du sollst nicht näher kommen, hast du das nicht gehört? Du bist verflucht!«
    Er kam trotzdem näher. Er konnte nicht anders. »Wovon redest du?«
    »Alles, was mit dir in Berührung kommt, verkümmert«, sagte sie. Ihre Stimme klang beiläufig, so als ginge sie gerade an einem Strand neben ihm her. »Wofür du dich auch entscheidest, es entpuppt sich als Sackgasse.«
    »Alice, bitte! Lass uns umkehren. Lass uns zurückgehen.«
    »Wenn du noch einen Schritt weitergehst, werde ich springen!«
    Er blieb stehen.
    »Es gibt kein Zurück«, sagte sie, »hast du das immer noch nicht kapiert? Zurück ist da oben.« Sie zeigte zum Himmel.
    »Bitte, ich flehe dich an. Ich werde gehen, aber du musst mir versprechen umzukehren.«
    »Es war deine Schuld«, sagte sie.
    Er erstarrte, ließ sich an die Felswand sinken.
    »Du wolltest, dass ich es ausspreche. Also, da hast du’s.«
    Er weinte.
    »Gib es zu«, sagte sie.
    Sie war nur ein paar Schritte entfernt, nicht weiter als einen Steinwurf, aber er konnte sich nicht mehr bewegen.
    »Du hast es so gewollt«, sagte sie. »Du wolltest, dass er verschwindet und ich gleich mit.«
    »Alice, bitte hör auf!«
    »Deswegen werde ich dem Ganzen jetzt ein Ende machen. Hast du verstanden? Es ist meine Entscheidung. Ich werde versuchen, mich selbst um ihn zu kümmern, und wenn ich dabei umkomme!«
    Sie war ganz knapp in seiner Reichweite, aber bevor er sie packte, schaute er sich noch einmal um, wie um sich seiner Umgebung zu

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