Mister Peanut
später.
Er beschloss, nach Ke’e zu laufen.
Er war von seinem Entschluss überzeugt. Sie hatte keinen Grund, in die andere Richtung zu gehen. Sie konnte nicht ernsthaft glauben, dass sie die Strecke würde bewältigen können; er spürte seine eigenen schweren Glieder, und der Gedanke, bis nach Hanakoa zu wandern, erschien ihm einfach nur lächerlich und weit über seinem Durchhaltevermögen. Er trat unbewusst nur noch mit den Fußballen auf, machte Riesenschritte, schnappte nach Luft. In Gedanken sah er Alice, wie sie von der Welle herumgewirbelt und auf den Strand geworfen wurde. Er fühlte sich elend. Schreckliche Dinge wie diese geschahen, wenn man sich auch nur um Haaresbreite verrechnete. Fast hätte er ihre Laune gerettet. Fast hätten sie es überwunden. Er musste es wiedergutmachen und ihr irgendwie beweisen, dass sie, seit sie sich kannten, in guten wie in schlechten Zeiten, bei ihm immer an erster Stelle gestanden hatte. Warum brauchte er ihre Abwesenheit, um das einsehen zu können? Was stimmte mit ihm nicht, dass er es ständig vergaß?
Er eilte bergan und geriet Schritt um Schritt in einen Zustand der reinen, gedankenlosen Bewegung. Er erreichte den Bergkamm und schaute ein letztes Mal zum Hanakapi’ai Beach hinunter. Und im selben Moment sah er sie.
Durch irgendeinen glücklichen Zufall entdeckte er sie auf der anderen Talseite; sie befand sich auf gleicher Höhe und war auf dem Weg nach Hanakoa ebenso weit vorangekommen wie er auf dem Weg zurück nach Ke’e. Sie stand ihm wie ein Spiegelbild auf einem Felsvorsprung gegenüber und blickte zuerst in seine Richtung und dann auf den Weg, der noch vor ihr lag. Es war, als stünden sie am Fenster zweier benachbarter Wolkenkratzer. Sie hatte die Daumen in die Tragegurte ihres Rucksacks gehakt und schien nachzudenken, und dann drehte sie sich wieder zu ihm um und schaute herüber – er war sich ganz sicher! Er winkte, aber sie winkte nicht zurück. Er sprang in die Höhe und ruderte mit den Armen. Er flüsterte und schrie ihren Namen, aber sie schien ihn nicht zu bemerken. Plötzlich verließ ihn das Selbstvertrauen. Vielleicht konnte sie ihn nicht sehen? Aus dieser Entfernung war sie nicht größer als ein Daumennagel. Irgendetwas hatte sie zum Stehenbleiben veranlasst. Er winkte und winkte, stellte nutzlose Berechnungen an – auf seiner Uhr war es 13:23 – und schätzte, dass sie ihm, berücksichtigte man den Ab- und Wiederaufstieg bis zu ihrer jetzigen Position, etwa eine Stunde voraus war – wenn er sich beeilte.
Wieder schrie er ihren Namen und fuchtelte mit den Armen. Ob sie ihn gehört hatte oder nicht, sie drehte sich um, folgte dem Wanderpfad und war kurz darauf verschwunden.
David stürzte los, sprang im Zickzack bergab wie ein Skifahrer, rutschte immer wieder aus und fiel abwärts, einmal so schlimm, dass er anhalten und sein aufgeschlagenes Knie mehrfach beugen musste, um den Schmerz ertragen zu können. Sein Blutzuckerspiegel war im Keller. Weil die Ereignisse sich an diesem Tag überschlagen hatten, weil er sich von Wut und Erleichterung hatte ablenken lassen, hatte er zu essen vergessen. Er nahm den Rucksack ab und holte ein selbst zubereitetes Sandwich mit Erdnussbutter und Banane heraus, das er im Gehen verspeiste. Auch zu trinken vergaß er nicht. Inzwischen hatte er zu große Angst, um verärgert zu sein. Das entsetzliche Schweigen zwischen ihnen hatte sie auf diese gefährliche Wanderung getrieben, es war, als stünden sie zusammen auf einem Hochseil über einem gähnenden Abgrund, und nun mussten sie irgendeine Möglichkeit finden, das Gleichgewicht zu halten und sich hinüberzuretten. Eine halbe Stunde später hatte er den Steinfluss und das Schild mit der Aufschrift H ANAKOA V ALLEY 3 KM erreicht. Er war wieder bei Kräften, was vielleicht am Essen lag, dennoch verschlimmerte sich seine Angst. Der nun folgende Streckenabschnitt hatte einen höheren Schwierigkeitsgrad als jeder Wanderpfad, den er je betreten hatte. Die geografische Beschaffenheit der leichteren Strecke von Ke’e nach Hanakapi’ai und die schiere Masse der Touristen, die sie täglich zurücklegten, ließen den Pfad verhältnismäßig breit und ausgetreten wirken. Zehntausende Füße hatten den Weg ausgetrampelt und geglättet. Er hingegen befand sich nun auf lockerem Stein- und Schiefergeröll, und die Steigung war so steil, dass er meinte, auf allen vieren hinaufkriechen zu müssen. Zudem blieb ihm die tröstliche Begegnung mit einer Rückkehrergruppe
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