Mister Perfekt
verbalen Tiefschläge verkneifen müssen.
Sie wusste, dass sie eine große Klappe hatte; Shelley wie auch David hatten ihr das oft und lang genug vorgehalten. Ihre Mutter hatte versucht, Jaine dazu zu bringen, ihre Zunge im Zaum zu halten, was ihr zum Teil auch gelungen war. Während ihrer gesamten Schulzeit hatte sie sich angestrengt, den Mund zu halten, weil die Schulkameraden ihren Gedankengängen nicht zu folgen vermochten und auf ihre Geistesblitze nur mit ungläubigem Staunen reagierten.
Außerdem wollte Jaine niemandem wehtun, was sie, wie sie schon früh gemerkt hatte, allein dadurch bewerkstelligen konnte, dass sie ihren Gedanken Worte verlieh.
Ihr lag so viel an der Freundschaft mit Marci, T.J. und Luna, weil die drei anderen, so unterschiedlich sie auch sein mochten, selbst ihre schärferen Bemerkungen akzeptierten, ohne sich davon einschüchtern zu lassen. Im Umgang mit Sam empfand Jaine dieselbe Art von Erleichterung, denn Sam besaß ebenfalls eine große Klappe und war verbal genauso gewandt und fix wie sie.
Das wollte sie nicht aufgeben. Nachdem sie sich das erst eingestanden hatte, war ihr klar, dass ihr genau zwei Möglichkeiten blieben: entweder sie zog den Schwanz ein, was ihr erster Impuls gewesen war, oder sie konnte ihm eine Lektion erteilen... eine Lektion, nicht auf ihren Gefühlen herumzutrampeln, verdammt noch mal! Wenn es etwas gab, auf dem niemand herumtrampeln durfte, dann waren das ihre Gefühle.
Also gut, zwei Sachen - auf der Viper durfte auch niemand herumtrampeln. Aber Sam... für Sam lohnte sich ein Kampf. Falls er außer ihr noch andere Frauen im Kopf und im Bett hatte, dann würde Jaine ihre Rivalinnen einfach aus dem Feld schlagen müssen und ihn anschließend für ihre Mühen bezahlen lassen.
So. Schon ging es ihr besser. Sie hatte sich zum Handeln entschlossen.
Schneller als erwartet traf sie vor dem Sender ein, doch andererseits war so früh am Morgen kaum jemand auf den Freeways und Straßen unterwegs. Luna war schon da und kletterte aus ihrem weißen Camaro, frisch und ausgeruht, als wäre es neun Uhr vormittags und nicht kurz vor vier Uhr nachts.
Sie trug ein Etuikleid aus goldener Seide, das ihre Milchkaffeehaut zum Leuchten brachte.
»Unheimlich, wie?«, fragte sie, als Jaine sich zu ihr gesellt hatte und sie gemeinsam wie angewiesen zum Hintereingang des Senders stöckelten.
»Abartig«, stimmte Jaine ihr zu. »Es ist absolut unnatürlich, dass jemand zu so früher Stunde aufstehen und funktionieren soll.«
Luna lachte. »Bestimmt haben alle anderen auf der Straße nur Böses im Schilde geführt, wieso sollten sie denn sonst so früh auf sein?«
»Drogendealer und Perverse, jeder Einzelne davon.«
»Nutten.«
»Bankräuber.«
»Mörder und Frauenschläger.«
» Fernsehmenschen.«
Sie lachten immer noch, als Marci auf den Parkplatz einbog.
Marcis erste Worte waren: »Habt ihr die ganzen schrägen Vögel auf der Straße bemerkt? Ich glaube, die trauen sich alle nur um Mitternacht raus.«
»Das Thema hatten wir schon«, bestätigte Jaine grinsend.
»Ich glaube, wir können mit Fug und Recht behaupten, dass wir alle keine Partygirls sind, die regelmäßig erst im Morgengrauen nach Hause kriechen.«
»Ich bin oft genug heimgekrochen«, widersprach Marci fröhlich. »Bis ich es leid war, ständig Schuhabdrücke auf meinen Handrücken zu finden.« Sie sah sich um. »Das gibt es doch nicht, dass ich vor T.J. hier bin: Die kommt doch immer zu früh, und ich komme fast immer zu spät.«
»Vielleicht hatte Galan einen Wutanfall und ihr verboten herzukommen«, riet Luna.
»Nein, wenn sie nicht kommen würde, hätte sie angerufen«, wandte Jaine ein. Sie schaute auf die Uhr: fünf vor vier. »Gehen wir rein. Vielleicht gibt es drinnen Kaffee; bei mir darf der Nachschub nicht abreißen, wenn ich auch nur einen zusammenhängenden Satz von mir geben soll.«
Jaine war schon einmal in einem Fernsehsender gewesen, darum überraschten sie die höhlenartigen Räume, die Dunkelheit und die schlangengleichen Kabel überall auf dem Boden nicht. Kameras und Strahler standen wie Wachposten verteilt, während die Monitore jede Bewegung aufzeichneten. Es waren ein paar Leute da, die meisten in Jeans und Turnschuhen, plus eine Frau im schicken apricotfarbenen Kostüm. Sie kam mit einem strahlenden, professionellen Lächeln und ausgestreckter Hand auf sie zu.
»Hallo, ich bin Julia Belotti hier von GMA. Ich nehme an, Sie sind die Ladys von der Liste?« Sie lachte über
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