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Mister Zed

Mister Zed

Titel: Mister Zed Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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eine müde Stimme, die einst
dominant und kräftig geklungen haben mochte. Überrascht musterte der
alte Mann den für ihn anscheinend unerwarteten Besuch. Den Prior betrachtete
er nur flüchtig. Mit einem sanften Lächeln, das seine dünnen
Lippen umschmeichelte, sah er Sonja, dann Roderick beinahe liebevoll an.
    Der Rollstuhl, in dem der Mann saß, musste aus der gleichen Epoche wie
Roland stammen. Und der Mann war so alt, dass er beinahe zerbrechlich wirkte,
seine Haut war so dünn und braun wie uraltes Pergament – zerknittert,
als habe jemand sie ihm abgezogen, zerknüllt, notdürftig geglättet
und wieder übergestreift. Ein respektvolles Schweigen dem Alter gegenüber,
das jedoch von Fragen geschwängert schien, folgte für einen unerträglich
langen Augenblick. Und Sonja spürte ein krampfendes, für sie unerklärliches
Gefühl in der Brust. Jeden Moment würde sie zu weinen beginnen. Endlich
meinte der Alte: »Bitte, schließt die Tür. Da Zed euch nicht
geschickt hat, wollen wir auch nicht, dass er oder seine Jagdhunde uns hören.«
Ohne zu zögern folgte Roderick der Aufforderung und drückte die Tür
leise ins Schloss, während er sagte: »Wir stammen von der Ikarus .«
    Jegliche weitere Erklärung stoppte der Fremde mit einer fahrigen Handbewegung.
    »Ich weiß, wer ihr seid.« Er setzte sich in seinem Stuhl aufrecht,
als wolle er den letzten Funken Würde, der in seinem vom Alter gebeugten
Körper geblieben war, zur Schau stellen. »Einsam in diesem Raum der
Vergessenheit zurückgeblieben zu sein, bedeutet nicht, dass mir die Wahrheit
und das Leben unbekannt sind.«
    »Herr. Sir.« Der Roboter quietschte, als er einen Schritt auf den
Alten zuging. »Ich bin bei euch. Immer. Alletage.«
    »Ja, Roland. Mein treuer Begleiter.« Er lächelte schwach. Dann
veränderte sich seine Mimik und die Müdigkeit schien mit einem Mal
verschwunden zu sein: »Steh nicht rum. Serviere unseren Gästen etwas
zu trinken, führ sie in den Salon.«
    »Jaja, Sir, ja.«
    »Kommen Sie. Kommen Sie!« Der Roboter schob sie auf den Vorhang zu,
ein wenig unsanft, was seiner klobigen Statur zuzuschreiben sein durfte, dennoch
fühlte sich Sonja an eine nicht weit in der Vergangenheit liegende Situation
ermahnt. Auch Zed hatte sie zum Essen geladen. An alles, was danach gekommen
war, erinnerte sie sich nur noch schwach. Sein Gesicht schwebte wieder nah vor
ihrem und wieder spürte sie seine Zunge imaginär über ihren Rachenraum
gleiten. Sonja schluckte mehrfach, hustete und hoffte auf ein Glas Wasser, besser
noch Alkohol, der ihr dieses Gefühl von der Schleimhaut und aus dem Gedächtnis
brannte.
    Als Roland den Vorhang zur Seite schob, schnappte der Prior lautstark nach Luft.
Und auch Sonja stockte der Atem beim Anblick des Zimmers, das sie niemals hinter
dem schlichten Vorhang vermutet hätte. Einen Gang, einen sterilen Raum
mit wenigen Sitzplätzen hatte sie sich vorgestellt, aber keinen Raum, dessen
Fremdartigkeit ihr eine Gänsehaut bescherte und sie erneut zum Weinen brachte.
    Hastig wischte sie sich über die Arme und anschließend mit dem Handrücken
über die Augen. Seit sie sich für die Ikarus und gegen das
Austragen ihres Kindes entschieden hatte, ertappte sie sich häufig dabei,
dass sie von einer hormonell bedingten Wochenbettdepression in die nächste
rutschte, sie fühlte sich verletzlich, sensibel und dennoch stark und aggressiv.
Sie wusste, dass ihr Sohn Frederick Milton DiMersi geschützt und wohlbehütet
heranwuchs, aber sie vermisste ihn so sehr, dass sich ihre Brust beim Gedanken
an ihn zusammenkrampfte. Und nun ertappte sie sich dabei, wie sie mit wachsenden
mütterlichen Gefühlen das Gemälde eines Babys ansah. Nackt lag
es auf einem blauen Teppich, es lächelte verzückt und betrachtete
eine nicht auf dem Gemälde gezeigte Person oder einen Gegenstand. Es war
nicht der Anblick des Kindes, sondern das Gefühl, es müsse jeden Augenblick
aus dem Rahmen rutschen und auf dem Boden aufschlagen, und sie – Sonja
– wollte es vor diesem schweren Sturz retten. Doch sie ging keinen Schritt
weiter und ließ sich von der Perspektive des Raumes verzaubern. So etwas
hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen und auch noch nicht davon gehört.
    Die Wände schienen komplett mit rahmenlosen Bildern tapeziert. Dreidimensional
stellten sich darauf Stühle, Tisch und Sofa dar; Blumen, deren Düfte
die Atmosphäre

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