Misterioso
Um den Dezenniumswechsel herum war es ihm ein paar Jahre lang gelungen, seinen schweren Alkoholismus mit seiner Arbeit in Einklang zu bringen. Aber nach einigen peinlichen Auftritten in halböffentlichen Zusammenhängen hatte die Geduld des Verbundes ein Ende gehabt, und Hedman war in die Wüste geschickt worden. Über das Sozialamt in Bandhagen bekam Hjelm heraus, dass Hedman meist auf einer Parkbank vor dem Spirituosenladen anzutreffen war; von dort führte er ihn unsanft in seine verdreckte Wohnung, wo er auf die Polizisten wartete, die das zweifelhafte Vergnügen hatten, Lars-Erik Hedmans Gesundheit zu schützen. Ein unmögliches Unterfangen.
Hjelm fuhr mit der Gewissheit ins Präsidium zurück, dass der Fall sich schon wieder festgefahren hatte. Der Gedanke war ihm zuwider. Noch so ein erbärmlicher Monat. Der ganze Sommer im Eimer. Während Göran Andersson mit erhobenem Dartpfeil unsichtbar durch die Straßen streifte.
Er saß in seinem Büro und starrte blind durch das kleine Fenster auf die kahle Wand, als das Telefon klingelte und die Zeit ein anderes Tempo bekam.
»Hjelm«, antwortete er.
»Endlich«, sagte eine ruhige Stimme, deren Akzent Hjelm intuitiv den Aufnahmeknopf drücken ließ. Smäländisch. »Es war gar nicht so einfach, zu Ihnen durchzukommen. Nerviges Personal in der Telefonvermittlung. Paul Hjelm, der Held von Botkyrka. Sie haben fast so viele Schlagzeilen wie ich.«
»Göran Andersson«, sagte Hjelm.
»Ehe Sie jetzt versuchen, mich über das Telefongespräch zu orten, lassen Sie mich Ihnen einen Tipp geben, wie man so etwas umgehen kann. Man braucht nur ein Handy zu klauen.«
»Entschuldigen Sie«, sagte Hjelm eine Spur waghalsig, »aber es widerspricht dem Bild, das wir von Ihnen haben, dass Sie anrufen und herumprahlen. Das passt nicht ins psychologische Profil.«
»Wenn Sie ein passendes gefunden haben, melden Sie sich doch bitte bei mir«, sagte Göran Andersson. »Nein, ich rufe nicht an, um herumzuprahlen. Ich rufe an, um Ihnen zu sagen, dass Sie meine Verlobte in Ruhe lassen sollen. Ansonsten muss ich noch mehr vom psychologischen Profil abweichen und Sie auch noch ausschalten.«
»Das würden Sie niemals tun«, platzte Hjelm unvorsichtig heraus.
»Warum nicht?« sagte Andersson und klang interessiert.
»Helena Brandberg, Enar Brandbergs Tochter. Sie hätten sie ohne weiteres erschießen können, um die Kassette zu retten. Aber Sie haben sich entschieden, zu fliehen und die Kassette in unsere Hände fallen zu lassen.«
»Haben Sie mich über das Band identifiziert?« fragte Göran Andersson erstaunt. »Das kann nicht ganz einfach gewesen sein.«
»Nicht ganz«, sagte Hjelm. »Was haben Sie geglaubt?«
»Über den Bankräuber in dem Tresor, natürlich. Ich hab die ganze Zeit damit gerechnet, dass es herauskommt und dass ihr mich jagen würdet. Als sich dann aber nichts tat, hab ich losgelegt. Bis er plötzlich auf den Phantombildern in der Zeitung auftauchte. Als ob er lebte. Wie kam das?«
Warum nicht aufrichtig sein? dachte Hjelm.
»Die Sicherheitspolizei hat die Ermittlungen mit Rücksicht auf die Sicherheit des Landes unter Verschluss gehalten.«
Göran Andersson lachte laut. Hjelm hätte sich beinahe anstecken lassen.
»Das war ja wohl eher kontraproduktiv«, bemerkte Andersson nach einer Weile.
»Geben Sie auf, und stellen Sie sich«, sagte Hjelm mit ruhiger Stimme. »Sie haben ihren Unwillen über das Verhalten der Banken deutlich zum Ausdruck gebracht und ein Zeichen gesetzt. Hören Sie auf damit. Sie wissen doch sicher, dass jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied von uns bewacht wird.«
»Nicht ganz ... Außerdem geht es nicht darum, ein Zeichen zu setzen. So viele Zufälle auf einmal – da ging es um mehr. Schicksal. Die Grenze zwischen Zufall und Schicksal ist haarfein, und hat man sie erst einmal überschritten, gibt es kein Zurück mehr.«
»Wie meinen Sie das?«
»Lesen Sie keine Zeitung?« fragte Göran Andersson verdutzt.
»Nicht sehr oft«, gab Hjelm zu.
»Ich bin ein Volksheld, verdammt noch mal! Haben Sie die Leserbriefe nicht gelesen? Einen Kater zu haben, ohne auch nur ein Fest von weitem gesehen zu haben, ist kein Vergnügen. Aber genau das ist der Seelenzustand Schwedens. Jeder, der irgendwas zu sagen hat, will uns einreden, dass wir an einem Fest teilgenommen haben, für das wir jetzt den Preis zahlen müssen. Was für ein Fest? Was ich jetzt mache, das ist ein Fest, das retroaktive Fest des Volkes! Lesen Sie die Leserbriefe, hören Sie
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