Misterioso
sich an, was die Leute auf der Straße sagen! Das tue ich, und das sollten Sie auch tun. Aber Sie befinden sich in einem geschlossenen Raum und glauben, dass der Fall dort gelöst werden kann. Alle Gespräche auf den Straßen kreisen um diese Sache. Man sieht, wer Angst hat und wer jubelt.«
»Versuchen Sie nicht, mir weiszumachen, dass Sie in politischer Mission unterwegs sind!«
»Ich bin in den Tagen des Wahns auf einem einzigen Fest gewesen«, sagte Andersson ein wenig ruhiger. »Im Hackat und Malet in Växjö, am dreiundzwanzigsten März 1991. Da hab ich erlebt, wie der Ausverkauf aussieht.«
»Sie sind kein Revolutionär der breiten Masse«, beharrte Hjelm. »Das biegen Sie sich nachträglich so hin.«
»Natürlich«, sagte Andersson nüchtern. »Ich habe immer bürgerlich gewählt.«
Ein merkwürdiges Gespräch, dachte Hjelm. Das war nicht der kaltblütige Serienmörder, der stundenlang in dunklen Wohnzimmern saß, seinen Opfern zwei Kugeln durch den Schädel jagte und hinterher Jazz hörte. Das Mysterium zerfiel in tausend Teile, der Mythos zerbröckelte zwischen seinen Fingern. Misterioso, dachte er. Vielleicht hatten die Morde ihn auf eine perverse Weise geheilt. Vielleicht war es auch nur eine Tagversion von Göran Andersson, mit der er – relativ – vernünftig sprach. Vielleicht sah die nächtliche Version ganz anders aus.
Menschen, dachte Hjelm und sagte: »Eine rein sachliche Frage. Wie sind Sie in die Häuser gekommen?«
»Wenn man einem Menschen lange genug folgt, kommt man früher oder später an seine Schlüssel«, sagte Andersson gleichgültig. »Man macht einen Abdruck in einen Tonklumpen und feilt sich selber einen Schlüssel zurecht. Das ist nicht schwieriger, als einen Dartpfeil zu feilen. Danach macht man sich mit den Gewohnheiten desjenigen vertraut und braucht ihn nur noch zu erwarten.«
»Sind Sie Ihrem nächsten Opfer lange genug gefolgt?«
Stille. Hjelm fürchtete schon, Andersson könne aufgelegt haben.
»Lange genug«, sagte Andersson schließlich. »Unser Gespräch zieht sich viel zu sehr in die Länge. Ich habe eigentlich nur angerufen, um Ihnen zu sagen, daß Sie meine Verlobte in Ruhe lassen sollen, da ich mich ansonsten gezwungen sehe, Sie auch zu töten.«
Die Frage mahlte schon die ganze Zeit in Hjelms Kopf. War es taktisch klug, sie zu stellen, oder nicht? Wie würde Göran Andersson reagieren? Nach diesem unheimlichen Gespräch war er noch unsicherer geworden. Unheimlich fand er die scheinbare Normalität. Am Ende stellte er die Frage, möglicherweise gegen besseres Wissen.
»Wenn Sie mit Lena Kontakt hatten, wissen Sie ja bestimmt, dass sie Ihr Kind erwartet? Wie stellen Sie sich die Zukunft dieses Kindes vor?«
Es wurde still.
Nach zehn Sekunden war ein leises Klicken zu hören, und die Verbindung war unterbrochen. Hjelm legte den Hörer auf, hielt die Aufnahme an, nahm das Band aus dem Gerät und ging zu Hultin.
»Ich hab gerade mit ihm gesprochen«, sagte er.
Hultin blickte von seinen Unterlagen auf und musterte ihn durch die halben Gläser seiner Lesebrille.
»Mit wem?«
»Mit Göran Andersson«, sagte Hjelm und wedelte mit der Kassette.
Ohne eine Miene zu verziehen, wies Hultin auf den Kassettenrecorder.
Sie hörten sich das Gespräch zusammen an. An einigen Stellen fand Hjelm sich unnötig passiv, an anderen Stellen völlig unüberlegt. Aber im großen und ganzen war es einfach ein langes und erstaunliches Telefongespräch zwischen einem Serienmörder und einem Polizisten.
»Ich verstehe deine Zurückhaltung«, sagte Hultin, als die Aufnahme endete. »Aber du hättest vielleicht etwas härter rangehen sollen, um ihm ein paar Hinweise zu entlocken. Soweit ich es sehe, gibt es drei. Erstens: Auch wenn man das abschließende Schweigen so deutet, dass er nichts von der Schwangerschaft wusste, hat er wahrscheinlich Kontakt zu seiner Verlobten gehabt. Sie hat ihm ihren Zustand wohl einfach verschwiegen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass der erste Kontakt der beiden nach dreieinhalb Monaten ausgerechnet an dem Tag stattfindet, nachdem ihr ihn entlarvt habt. Holm soll Lena Lundberg ordentlich in die Zange nehmen. Sie weiß mehr, als sie zugibt. Zweitens: Andersson antwortet mit ›Nicht ganz ‹, als du ihm mitteilst, dass wir alle Aufsichtsratsmitglieder bewachen. Das könnte bedeuten, dass Alf Rüben Winge sein nächstes Ziel ist; er ist der einzige, den wir noch nicht lokalisiert haben. Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um ihn zu finden.
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