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Misterioso

Misterioso

Titel: Misterioso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Mann flucht leise; ein leichter, kein extremer Rausch. Eher der Rausch eines Mannes, der exakt weiß, wo der Punkt des größten Genusses ist, und es schafft, sich einen ganzen Abend dort zu halten. So wie heute. Er hört ihn aus den Schuhen steigen und pedantisch die Pantoffeln überziehen; er bildet sich sogar ein zu hören, wie der Knoten des Schlipses gelöst wird, der anschließend in zwei Streifen über dem Seidenhemd hängt. Das Jackett wird aufgeknöpft.
    Der Mann öffnet die angelehnte Hälfte der fast drei Meter hohen Flügeltür. Er betritt das Wohnzimmer, rutscht aus einem Pantoffel, flucht, bückt sich, schafft es, den Schuh wieder anzuziehen, richtet sich auf und entdeckt ihn durch den seligen Nebelschleier, versucht, ihn zu fixieren.
    »Himmel, Arsch und Zwirn!« sagt der Mann aufgebracht lallend.
    Famous Last Words.
    Er hebt die Pistole, die auf seinem Schoß gelegen hat, und gibt zwei schnelle, lautlose Schüsse ab.
    Der Mann steht still da, vollkommen still.
    Dann setzt er sich auf den Boden und beugt sich nach vorn über die Knie.
    So sitzt er zehn Sekunden, bevor er zur Seite kippt.
    Er legt die Pistole auf den Glastisch und atmet tief ein.
    Vor seinem inneren Auge erscheint eine Liste. Er vollführt eine mentale Verbeugung.
    Danach geht er zur Stereoanlage und schaltet sie ein. Er lässt das Kassettenfach auf- das Band hinein – und die Klappe wieder zugleiten. Die ersten Klavierklänge erkunden den Raum. Das Saxophon gesellt sich dazu und wandert Seite an Seite mit dem Klavier. Die gleiche Schrittfolge, derselbe Weg. Als das Saxophon sich losreißt und wild herumtanzt, während das Klavier im Hintergrund sanfte Akkorde ausbreitet, zieht die Pinzette die erste Kugel aus der Wand. Er lässt sie in die Tasche gleiten, hebt die Pinzette vor das zweite Loch und wartet. Ein paar kurze Trommelwirbel. Und dann der merkwürdig arabisch klingende Saxophon-Singsang, ein wenige Sekunden dauernder Ausflug in den Orient. Das Klavier verstummt. Saxophon, Bass, Schlagzeug. Er sieht vor sich, wie der Pianist sich wartend wiegt. Yeah, u-hu. Er selbst wartet auch. Mit erhobener Pinzette.
    Das Saxophon erklimmt den Gipfel, immer schneller. Ay. Ist es wirklich der Saxophonist, der diese Zwischenrufe in seinen Aufstieg einbaut?
    Applaus, Gemurmel im Publikum, im Übergang vom Saxophon- zum Klaviersolo. Genau an dieser Stelle zieht er mit einem kräftigen Ruck die zweite Kugel heraus. Genau an dieser Stelle. Putz krümelt von der Wand. Der plattgedrückte Klumpen gleitet in die Tasche zum ersten. Das Klavier löst das Saxophon ab. Anfangs noch mit scheinbar unsicheren Schritten. Dann reißt es sich aus den vorgegebenen Strukturen los. Die Ausflüge werden immer freier, immer schöner. Er kann die Schönheit hören. In sich. Nicht nur als ... Erinnerungsbild.
    Der Bass verstummt. Wandernde Klänge vom Klavier. Genau wie am Anfang. Er würde es gern richtig verstehen. Das Saxophon setzt ein.
    Die letzte Wiederholung.
    Dann der Applaus, Pfiffe.
    Er verneigt sich.
    Er könnte das Stück wieder und immer wieder hören.
     
    Es war der erste April. Paul Hjelm saß im Vernehmungsraum und rieb die Hände gegeneinander, ununterbrochen. Die Uhr an der Wand zeigte 10.34 Uhr. Wieso kam niemand? Wollten sie ihn etwa schmoren lassen? Oder war das Ganze ein Aprilscherz?
    Er wusste nicht mehr, was er antworten sollte, war völlig zugemauert. Vielleicht hatte Grundström ja recht. Vielleicht blieb ihnen wirklich keine Wahl, und sie mussten ein Exempel statuieren. Er kannte die unterschwelligen Stimmungen bei der Polizei schließlich, trug selbst dazu bei, ließ sich von ihnen beeinflussen.
    Die Tür wurde langsam aufgeschoben. Schon sah er Grundströms bedauernde Miene vor sich und konnte sich nicht entscheiden, ob er sie für aufrichtig halten sollte oder nicht.
    »Tut mir leid, Hjelm. Der Beschluss ist heute morgen gefasst worden. Ihr Entlassungsgesuch sollte spätestens bis drei Uhr heute Nachmittag auf Kommissar Brauns Schreibtisch liegen. Da Sie aus freien Stücken gehen, können Sie weder mit einer Abfindung noch mit Arbeitslosengeld rechnen.«
     

6
     
    Statt dessen erschien ein ihm fremdes Gesicht in der Türöffnung.
    Der Mann musterte ihn ein paar Sekunden lang. Er mochte Ende Fünfzig sein, elegant gekleidet, frisch rasiert, glatzköpfig. Die Nase allerdings war monumental. Er betrachtete Hjelm, forschend, vollkommen neutral, und streckte ihm schließlich die Hand entgegen.
    »Ich bin Kriminalkommissar Jan-Olov Hultin.

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