Misterioso
des anderen erkannt.
Und vielleicht war dies das bewegendste Opfer in dieser ereignisreichen Woche.
Ansonsten tat sich nichts. Das Handy schwieg während der ganzen Fahrt ins Polizeipräsidium, aber plötzlich war es Hjelm egal. Für die übrigen Mitarbeiter der A-Gruppe verging der Tag in intensivem Warten, das Mordopfer glänzte weiterhin mit Abwesenheit, und Hjelm war weiterhin alles egal. Die Ermittlungen waren durch den Bruch in der Symmetrie lahmgelegt, Hjelms Lähmung hingegen war rein persönlicher Natur. Am Ende des Tages versuchte Hultin hinter seinem Tisch in der Kampfleitzentrale die Situation in der Gruppe zu normalisieren.
»Ja, ja«, sagte er neutral. »Sollte sich nun doch kein Mordopfer in irgendeinem imposanten Wohnzimmer dieser Stadt verstecken, kann das zweierlei bedeuten. Erstens: Der Täter hat aus uns bisher unbekannten Gründen seine Vorgehensweise geändert. Zweitens: Es ist vorbei.«
Paul Hjelm bekam nicht mit, was Hultin sagte. Er blieb auf seinem Platz sitzen, bis alle anderen gegangen waren. Als er mutterseelenallein in der Kampfleitzentrale saß, fragte er sich, was ihn wohl zu Hause erwartete.
Was er zu Hause vorfand, war eine leidlich normale Familienidylle. Die Blicke zwischen ihm und Cilla würden wahrscheinlich nie wieder sein, wie sie einmal gewesen waren, und er fragte sich die ganze Zeit, ob die Normalisierung nicht aufgesetzt war, ob dahinter nicht eine Zeitbombe tickte. Trotzdem verhalf sie ihm nach diesem eigenartig abgründigen Tag wieder zu ein wenig Halt, auch wenn er gar nicht wusste, wie der Boden, auf dem er stand, eigentlich beschaffen war. Sein Interesse für den Fall stieg wieder auf ein normales Niveau.
Am fünften April, eine knappe Woche nach dem ersten Mord, aß Paul Hjelm, der normalerweise ein notorischer Mittagspausenüberspringer war, ausnahmsweise in der Kantine des Polizeipräsidiums zu Mittag. Und ebenso ausnahmsweise war die Kerntruppe an diesem Tag vollzählig: Söderstedt, Chavez, Norlander, Holm, Nyberg. Zu sechst saßen sie um einen der längeren Tische, und hätten sie auch nur leise zur Paranoia geneigt, hätten sie sich von feindlichen Blicken umringt gefühlt.
Sie fühlten sich von feindlichen Blicken umringt.
»Es ist doch folgendermaßen«, konstatierte Söderstedt und strich sich über das nahezu bartlose Kinn. Er hielt seine Gabel hoch, mit der er ein fettklümpchen – und sehnendurchzogenes, soßentriefendes Klopsstück aufgespießt hatte. »Die von der Stockholmer Kripo hassen uns, weil wir ihnen den Fall weggeschnappt haben; die Reichskripo hasst uns, weil Hultin für eine der wichtigsten Ermittlungen in der schwedischen Kriminalgeschichte eine Truppe rangniederer Unbekannter zusammengestellt hat; und alle zusammen hassen sie uns, weil wir von der Norm abweichen. Ein Finne, ein Kanake, eine Göteborgerin, ein Mitglied der fünften Kolonne, ein Fleischberg und ein Medienheld. Holla, holla.«
»Wieso Mitglied der fünften Kolonne?« fragte Viggo Norlander sauer.
»Du hast dich also wiedererkannt?«
»Ich hab die Stockholmer Kripo nicht verraten und werde es auch niemals tun.«
»Du weißt, was man sagt«, sagte Hjelm – mit angeekeltem Gesichtsausdruck, weil er gerade auf ein Fettstück gebissen hatte. »Einmal in der Reichskripo drin, kommt man nie wieder raus. Es sei denn, in der entsprechenden Kiste.«
»Wer erzählt denn so einen Schwachsinn?« fragte Chavez.
»Das weiß ich nicht mehr«, sagte Hjelm und spuckte unauffällig den Fettklumpen in seine Serviette.
Chavez wandte sich an Söderstedt. »Wie geht es mit deiner Wohnung voran, Erbse?«
Erbse? Hjelm ging auf, dass er wohl ziemlich viel verpasst hatte. Wo zum Teufel nahmen die anderen die Zeit her, über private Dinge zu sprechen?
Er sah sich in der Runde um. Ihr gemeinsames Tun war ausschließlich professioneller Art. Was waren das eigentlich für Menschen, mit denen er seine abartig langen Arbeitstage verbrachte? Gesprächsfetzen von den Tonbändern und von der Unterredung in der Küche in Norsborg zogen wie ein Windhauch durch seinen Kopf: andere Menschen nie wirklich verstehen. Ganz im Hintergrund sah er für den Bruchteil eines Augenblicks Grundström, der sagte: »Befrag dein Herz, Hjelm.«
Er schüttelte das Bild ab.
Wie stand es um ihre Gemeinschaft? Das Arbeitstempo hatte sich etwas verlangsamt, was einem die Möglichkeit gab, in den Mitgliedern der A-Gruppe noch etwas anderes zu sehen als Rädchen im Getriebe.
Jorge Chavez war eine nette Bekanntschaft;
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