Misterioso
du ja nicht gleich eine Wahlrede für die Kommunisten zu halten brauchst«, brummte Viggo Norlander. Die Gabel in seiner Hand zitterte leicht.
»Das war ja wohl nicht das einzige, was du gesagt hast«, erwiderte Söderstedt und sah Norlander scharf an.
»Kindsköpfe«, fiel Kerstin Holm ihnen ins Wort.
Norlander warf die Gabel auf sein Tablett und trug es wortlos weg. Sogar in diesem Zustand der Empörung stellte er das Tablett an die dafür vorgesehene Stelle, faltete die Serviette ordentlich zusammen und warf sie in den Abfalleimer. Hjelm sah sich in der Personalkantine um und begegnete an den umliegenden Tischen dem einen oder anderen offen sarkastischen Grinsen, das er entnervt erwiderte.
Ein Außenseiter unter Außenseitern.
Mitten im Auge des Sturms.
Kerstin Holm wandte sich an Söderstedt.
»Jetzt hör endlich auf. Wir haben wahrlich Dringlicheres auszufechten als diese Sandkastenschlacht.«
»Er hat mir eins auf die Fresse gegeben«, nuschelte Söderstedt beleidigt und fügte hinzu: »Und seinen ganzen Ausländerfrust an mir abgelassen.« Dazu strich er sich über das dünne, kreideweiße Haar.
Hjelm prustete los. Er wusste nicht, warum, aber im nächsten Moment steckte er Nyberg an. Holm lächelte ihr ironisches Lächeln und Chavez seins. Die Friedenspfeife machte die Runde.
»Die politischen Aspekte des Falls einfach unter den Teppich zu kehren, hieße sich nur halb mit dem Fall zu beschäftigen«, sagte Söderstedt am Schluss. »Gibt mir vielleicht endlich mal einer recht?«
»Ich bin deiner Meinung«, sagte Chavez. »Aber man kann sich auf unterschiedliche Weise dazu verhalten. Jetzt sag schon, was war in Vasa los?«
»O nein.« Söderstedt lachte. »So intim sind wir noch nicht. Wie sieht es überhaupt mit deiner Bude aus?«
»Das ist nun wirklich keine Wohnung, sondern ein Zimmer bei einer alten Dame an der Kreuzung Bergsgatan-Scheelega-tan. Wie zu meiner Zeit als Polizeianwärter.«
»Und wie ist es bei dir, Kerstin?« fragte Söderstedt. »Wo wohnst du?«
»In Brandbergen, bei der zweiten Exfrau meines Exmanns«, sagte sie. »Wir mögen uns. Immerhin tragen wir an einem gemeinsamen und sehr fruchtbaren Hass.«
Es wurde gelacht. Über alles und nichts. Darüber, dass sie einander einen kleinen Schritt nähergekommen waren. Und darüber, dass seit mehreren Tagen niemand mehr ermordet worden war. Über sich selbst und ihre absurde Stellung innerhalb des Polizeipräsidiums.
Nyberg erhob sich, gefolgt von Chavez und Söderstedt. Kerstin Holm trank ihr Leichtbier aus und wollte gerade aufstehen, als Hjelm sagte: »Hast du eigentlich George Hummelstrand erreicht?«
Sie sank zurück auf ihren Stuhl und funkelte ihn an. »Es stinkt mir maßlos, dass du die Hummelstrand-Spur als dein Verdienst verbuchst«, sagte sie.
»Ich hab mich doch schon dafür entschuldigt. Außerdem geht es dabei ja wohl weniger um ein Verdienst. Ich war immer noch auf die Mimer-Spur fixiert. Aber ich entschuldige mich gern noch ein zweites Mal, wenn es das ist, was du willst. Und ein drittes und viertes Mal.«
Die Mundwinkel in dem unverschämt hübschen Gesicht begannen unwillkürlich zu zucken.
»Und auch ein fünftes Mal«, sagte er und empfand fast so etwas wie Glück. »Na und, was ist mit George?«
Das Lächeln erlosch. Ihre dunklen Augen schienen ihn zu durchleuchten. »Bist du glücklich verheiratet?« fragte sie.
»Wie bitte?« fragte er zurück. Cillas deprimierter Blick verdeckte mit einem Mal sein gesamtes Sichtfeld.
»Ich meine, glücklich?« sagte Kerstin ernst. »Richtig glücklich?«
»Warum fragst du das?«
»Ich weiß nicht, wer du bist«, sagte sie unergründlich und ließ ihn allein zurück.
Er blieb sitzen, während das Bild von Cilla allmählich verblasste.
Zum Schluss war die ganze Welt blas.
17
Viggo Norlander saß in einer Lagerhalle im Freihafen und wartete.
Warten, dachte er. Warten. Warten, warten, die ganze Zeit warten. Warten, warten, warten, warten.
Mit anderen Worten, er war ziemlich erschöpft.
Er hatte keine Lust mehr auf Samthandschuhe.
Jetzt würden andere Saiten aufgezogen.
Es muss was passieren, dachte er. Er hatte die Nase voll von dieser elenden Schreibtischarbeit und den Telefonaten mit herablassenden Interpolbeamten und widerspenstigen exsowjetischen Polizisten und ausgebrannten Zollbeamten.
Er hatte lange genug gewartet.
Er hatte sich Zugang zu dem kleinen Büro der Lagerhalle verschafft und hockte jetzt schon seit drei Stunden hinter einem Schrank.
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