Mistreß Branican
166.)
Harry Felton wurde zur nächsten Bahnstation Oxley gebracht und von hier nach Sydney geführt. Der »Morning Herald«, der vor allen anderen Zeitungen von seiner Ankunft Kenntniß erhielt, brachte einen Artikel über ihn, den wir schon oben wiedergegeben haben.
… und bemerkten einen Mann an einem Baume liegen. (S. 167.)
Jetzt stand Mrs. Branican neben Harry Felton, den sie freilich nicht erkannt haben würde. Er war damals sechsundvierzig Jahre alt und man hätte ihn für sechzig gehalten. Er war der einzige Mensch – fast ein Leichnam – der etwas über Capitän John und seine Gefährten sagen konnte.
Die sorgfältigste Pflege hatte bis zu diesem Tage den Zustand Harry Felton’s nicht zu bessern vermocht, woran sicher die furchtbaren Entbehrungen Schuld waren, die er wochenlang – wer weiß? – vielleicht jahrelang durch ganz Centralaustralien ertragen hatte. Der Lebensfunke, der in ihm noch glimmte, konnte jeden Augenblick erlöschen.
So lange er in dem Seehospize war, hatte er kaum die Augen geöffnet, ohne daß man wußte, ob er sich von dem Rechenschaft gebe, was um ihn vorging. Man labte ihn ein wenig, er schien es nicht zu bemerken. Es war daher zu befürchten, daß die furchtbaren Leiden seine geistigen Kräfte so zerstört haben möchten, daß er sich an nichts mehr erinnerte; und doch hing von ihm die Rettung der Anderen ab, wenn sie noch lebten.
Mrs. Branican setzte sich an das Bett und achtete auf jede Bewegung der Augenlider, auf jede Bewegung der Lippen, auf das geringste Lebenszeichen. Zach Fren stand neben ihr und suchte irgend einen Lichtstrahl seines Geistes zu erhaschen, wie der Schiffer in dem dichten Nebel den Leuchtthurm sucht.
Aber dieses Licht leuchtete weder an diesem Tage noch an den folgenden. Die Augenlider des Kranken blieben beharrlich geschlossen, und wenn Dolly sie hob, so sah sie nur einen starren Blick.
Aber weder sie noch Zach Fren verzweifelten.
»Wenn Harry Felton die Frau seines Capitäns erkennt, sagte Zach Fren, so wird er sich auch verständlich machen können, ohne zu sprechen.«
Ja, es war wichtig, daß er Mrs. Branican erkenne, und möglicherweise auch auf seinen Zustand von heilsamen Folgen. Man würde daher mit der größten Vorsicht vorgehen, während er sich an die Anwesenheit Dollys gewöhnen würde….
Er würde das durch Zeichen angeben können, wenn ihm auch die Zunge versagte.
Obgleich man Mrs. Branican rieth, sich nicht stets in diesem Krankenzimmer aufzuhalten, so wollte sie sich doch keine Stunde der Ruhe, keinen Augenblick in der frischen Luft gönnen.
»Harry Felton kann sterben, und wenn das letzte Wort sich seinen Lippen entringt, so muß ich dabei sein, um es hören!… Ich weiche nicht von ihm!«
Gegen Abend schien sich an Harry Felton eine kleine Besserung zu zeigen. Er schlug manchmal die Augen auf, aber sein Blick fiel nicht auf Mrs. Branican. Und doch beugte sie sich über ihn und nannte seinen Namen, nannte John… nannte San-Diego!… Würden all diese Namen ihn nicht an seine Gefährten erinnern?… Ein Wort… nur ein einziges Wort sollte er sprechen: »Leben sie?… Sind sie am Leben?«
Alles, was Harry Felton leiden mußte, bevor er hierher kam, litt vielleicht auch John, sagte sich Dolly… Dann dachte sie, daß John unterwegs zusammengebrochen sei… Aber nein, John hatte Harry Felton nicht folgen können… Er war dort unten geblieben… mit den Anderen… Wo?… Bei einem Australierstamme?… Wie hieß dieser Stamm?… Nur Harry Felton konnte diese Fragen beantworten und es schien. daß sein Gedächtniß geschwunden sei, seine Lippen verlernt hätten zu sprechen.
In der Nacht nahm die Schwäche Harry Felton’s zu. Seine Augen öffneten sich nicht mehr, seine Hände wurden kalt, wie wenn das wenige Leben, das noch in ihm wohnte, sich zum Herzen zöge. Sollte er denn sterben, ohne ein Wort gesprochen zu haben?… Dolly fiel es ein, daß auch sie die Erinnerung und den Geist mehrere Jahre lang verloren hatte!… Auch von ihr konnte man damals nichts erfahren, wie man jetzt von diesem Unglücklichen nichts erfahren konnte… nichts, das er doch nur allein wußte!
Am folgenden Tage wendete der Arzt, den der Zustand des Bewußtlosen sehr beunruhigte, die stärksten Mittel an, die aber keine Wirkung hervorbrachten. Es konnte mit ihm nicht. mehr lange dauern….
Dann zerfielen die ganzen Hoffnungen der Mrs. Branican in ein Nichts!… An Stelle des Lichtes, das die Rückkehr Harry Felton’s in diese
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