Mit 11 erobert man die Welt
dachte Katja einen Moment lang beklommen an die Eltern und Geschwister zu Hause. Sie saßen bestimmt längst um den Baum herum, Papi hatte die Weihnachtsgeschichte vorgelesen, und sie hatten die alten Weihnachtslieder gesungen. Und dann hatte es die Bescherung gegeben und ein einfaches Abendessen, damit Mami nicht so lange in der Küche stehen mußte. Ob sie wohl an sie gedacht, von ihr gesprochen hatten? Inzwischen lagen sie alle sicher längst im Bett und schliefen.
Doch Katja kam nicht dazu, ihren Gedanken nachzuhängen. Der festliche Trubel zog sie mitten hinein in dieses amerikanische Weihnachten. Geschenke wurden ausgepackt und herumgezeigt, aus der Musikanlage tönten Weihnachtschoräle und -lieder, der Raum war von Gläserklingen und Lachen erfüllt. Wie ein Symbol für die Verbundenheit mit der Natur kam es Katja vor, daß die große Tanne draußen vor dem Fenster als Weihnachtsbaum diente, mit Lichterketten, Äpfeln und Nüssen geschmückt, damit die Vögel und Tiere des Waldes auch ihren Teil an dem Fest hatten.
Später bat Clare Simonson die Gesellschaft an den festlich geschmückten Eßtisch und servierte das Weihnachtsmahl. Katja schmauste mit großem Vergnügen und achtete kaum auf den fünfzehnjährigen Randy, der neben ihr saß. Aber der unterhielt sich sowieso lieber mit Bob über neue Architektur und über Musiker, die Katja nicht kannte. Susan saß neben Paul. Die beiden steckten ständig die Köpfe zusammen und tuschelten. Total bescheuert, fand Katja. Nur daß Carol ihrer Mutter nicht von der Seite wich und tief in ein Gespräch mit ihr versunken war, das konnte sie gut verstehen.
Es war spät geworden, und am nächsten Tag schliefen sie lange. Als Katja erwachte, fiel strahlender Sonnenschein in ihr Zimmer. Sie sprang aus dem Bett und rannte zum Fenster, das von der Decke bis zum Fußboden reichte, so daß man den Steilhang hinunter bis zum See schauen konnte. Diese Landschaft war einfach unglaublich schön! Magisch zog es sie nach draußen. Sie beeilte sich mit dem Duschen und Anziehen so, daß sie ihren eigenen Rekord um etliche Minuten unterbot, und sprang die Treppe hinunter.
Bob und Clare saßen in der sonnenhellen Küche beim Frühstück.
„Na? Gut geschlafen?“ begrüßte Bob sie. „Ich habe gehört, ihr wollt heute ein bißchen Langlauf machen?“
„Ja, ich kann’s kaum erwarten“, sagte Katja, ließ sich aber nicht davon abhalten, in aller Ruhe das köstliche Frühstück zu genießen. Wenig später tauchten, noch recht verschlafen, Susan und Carol auf. Und bald standen auch Randy und Paul vor der Tür.
„Na? Seid ihr bereit?“ fragte Katja unternehmungslustig.
„Bereit wozu?“ fragte Paul zurück.
„Im Zweifelsfall - für die schönsten Ferien der Welt!“ antwortete Katja übermütig.
Ein Tag wie kein andrer
Inzwischen war Katja den vierten Tag bei den Simonsons, und der Muskelkater, den sie nach dem ersten großen Langlauf-Ausflug bekommen hatte, war nach
den weiteren Exkursionen verschwunden. Ein Tag war so strahlend schön wie der andere gewesen, und auch für heute hatten sie sich eine Skiwanderung vorgenommen. Diesmal sollte es hinüber auf die andere Seite des Sees und in die Wälder südöstlich der Siedlung gehen. Randy und Paul, die sich gut in der Gegend auskannten, waren mit von der Partie. Das hatten die Eltern zur Bedingung gemacht.
Nach einem ausgiebigen Frühstück machten sie sich auf den Weg, überquerten den zugefrorenen See, liefen ein Stück durch den angrenzenden Wald und hatten bald eine endlos weite Ebene vor sich. Mit einem Jubelschrei glitten sie den leicht abschüssigen Trail hinunter. Der Wind pfiff ihnen um die Ohren, der trockene, pulvrige Schnee stieg hinter ihnen in Wolken auf, und die Sonne ließ die Landschaft um sie herum in einer einzigen glitzernden Helle zusammenschmelzen, als wären sie geradewegs in den Himmel geflogen. Sie liefen ohne Pause in diese Helle hinein, bis sich vor ihnen ein von dichtem Wald bedeckter Berghang erhob und sie zum Innehalten zwang.
„Wahnsinn!“ rief Katja, zugleich lachend, keuchend und nach Atem ringend. „Ich möchte mal wissen, wie weit wir jetzt gelaufen sind. Zwanzig Meilen? Dreißig Meilen?“
„Auf jeden Fall zu weit“, sagte Randy. „Wir müssen aufpassen, daß wir vor Einbruch der Dunkelheit wieder nach Hause kommen.“
„Na wenn schon, heute ist Vollmond“, stellte Paul gleichmütig fest.
„... und du wolltest schon immer mal bei Vollmond mit den Wölfen tanzen“,
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