Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
Vom Netzwerk:
paarmal beobachtet - während sein Köter scheißt, schaut er sich um, ob ihn auch keiner sieht, und dann lässt er den Haufen eiskalt liegen.«
    »Ach herrje«, sagte Olive noch einmal, denn diese Gesprächigkeit ihres Sohns verwirrte sie nur noch mehr. Sie hatte ihn selten eine so lange, so leidenschaftliche Rede halten hören, und sie war sich einigermaßen sicher, dass sie aus seinem Mund noch nie das Wort scheißen gehört hatte. Sie lachte, ein falsches, hartes Geräusch. Wie aus einem fernen Traum streifte sie die Erinnerung an die klaren Gesichter der jungen Piloten.
    Christopher schloss ein Gittertor am Fuß eines hohen braunen Treppenaufgangs auf und ließ sie vorgehen. »Das ist also dein Haus«, sagte sie und lachte wieder dieses Lachen,
denn sie hätte weinen können über die Düsterkeit, über den Geruch nach Hundehaaren und schmutziger Wäsche, eine Säuerlichkeit, die aus den Wänden zu sickern schien. Das Haus, das sie und Henry Christopher daheim in Maine gebaut hatten, war ungleich schöner gewesen - lichtdurchflutet, mit großen Fenstern, durch die man auf den Rasen hinaussah, auf Lilien und Tannenbäume.
    Sie stieg auf ein Plastikspielzeug und hätte sich fast den Hals gebrochen »Wo sind denn alle?«, fragte sie. »Christopher, ich muss diesen Schuh ausziehen, bevor ich Hundedreck durchs ganze Haus trage.«
    »Lass ihn einfach hier vorn«, sagte er und schob sich an ihr vorbei. Sie zog die eine Wildledersandale aus, und während sie über einen düsteren Flur tappte, fiel ihr ein, dass sie keine Strumpfhose zum Wechseln mithatte.
    »Sie sind im Garten hinten«, sagte ihr Sohn, und durch ein geräumiges, düsteres Wohnzimmer folgte sie ihm in eine kleine Küche mit Bergen von Spielsachen und einem Hochstuhl, Töpfen und Pfannen überall, aufgerissenen Cornflakes-Schachteln, Minutenreispackungen. Mitten auf dem Tisch lag eine schwärzlichweiße Socke. Und plötzlich war es Olive, als hätte jedes Haus, das sie jemals betreten hatte, ihr Beklemmungen verursacht, jedes außer ihrem eigenen Haus und dem, das sie für Christopher gebaut hatten. Vielleicht hatte sie einfach nie dieses Misstrauen aus der Kinderzeit überwunden - diese Überempfindlichkeit gegen den ungewohnten Geruch fremder Häuser, dieses tiefsitzende Unbehagen, wenn eine Badezimmertür sich auf unvertraute Art schloss oder eine Treppenstufe knarzte, die von fremden Füßen abgewetzt worden war.
    Blinzelnd trat sie hinaus in einen kleinen Lichthof - das konnte er unmöglich mit Garten gemeint haben. Sie stand auf einer quadratischen Betonfläche, eingegrenzt durch einen
Maschendrahtzaun mit einem klaffenden Loch an einer Seite, so als wäre etwas Großes, Schweres in ihn hineingekracht. Gleich vor ihr war ein Gummiplanschbecken. In dem Becken saß ein nacktes Kleinkind und starrte sie an, daneben stand ein kleiner dunkelhaariger Junge in einer nassen Badehose, die ihm an den dünnen Oberschenkeln klebte. Auch er starrte Olive an. Hinter ihm lag ein schwarzer Hund in einem alten Hundebett.
    Ein Stück weiter führte eine Holztreppe hinauf zu einer hölzernen Sonnenterrasse. Aus dem Schatten unter der Treppe rief eine Stimme: »Olive!« Eine Frau kam zum Vorschein, die eine Grillzange in der Hand hielt. »Mensch, endlich! Ist das schön! Ich freu mich total, dich kennenzulernen, Olive.« Flüchtig musste Olive an eine überlebensgroße Mädchenpuppe denken; das schwarze Haar war über der Schulter in einer geraden Linie abgeschnitten, das Gesicht wirkte so offen und arglos wie das einer Schwachsinnigen.
    »Du bist sicher Ann«, sagte Olive, aber die Worte gingen unter in der Umarmung des Riesenmädchens. Die Grillzange klirrte zu Boden, so dass der Hund ächzend aufstand; Olive sah es durch den kleinen Spalt, zu dem sie noch herausschauen konnte. Sie war größer als Olive, diese Ann, ihr Bauch stand rund und hart vor, und sie legte einfach ihre langen Arme um Olive und küsste sie seitlich auf den Kopf. Olive war keine Küsserin. Und von einer Frau im Arm gehalten zu werden, die größer war als sie - nein, das war Olive unter Garantie noch nie passiert.
    »Hast du was dagegen, wenn ich Mom zu dir sage?«, fragte das Mädchen und rückte ein Stück von ihr ab, ohne Olives Ellbogen loszulassen. »Ich würde so wahnsinnig gern Mom zu dir sagen.«
    »Sag zu mir, was immer du willst«, erwiderte Olive. »Ich sag dann wohl Ann zu dir.«

    Der kleine Junge glitt mit einer schlangenartigen Bewegung herbei und hängte sich an den mächtigen

Weitere Kostenlose Bücher