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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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Jungs?« Denn das war sein Kummer: Seine vier Söhne waren erwachsen geworden und weggezogen. Sie kamen nur noch zu Besuch, als große, gestandene Männer gingen sie durch die Stadt, und sie musste an den Harmon von früher denken, den man nie allein gesehen hatte. Immer waren einer oder mehrere dieser kleinen, später halbwüchsigen Jungen bei ihm gewesen, die samstags bei ihm im Heimwerkerladen herumflitzten, quer über den Parkplatz brüllten, Bälle warfen, ihren Vater zur Eile antrieben.
    »Gut. Hab ich jedenfalls den Eindruck.« Harmon setzte sich neben sie; er saß nie in Coppers altem Sessel. »Und wie geht’s dir, Daisy?«
    »Mir ist heute Nacht im Traum Copper erschienen. Wobei es sich nicht wie ein Traum angefühlt hat. Ich hätte schwören können, er ist von - na, wo immer er jetzt ist - hergekommen, um mich zu besuchen.« Sie legte den Kopf schief, blinzelte durch den Rauch zu ihm hinüber. »Klingt das verrückt?«
    Harmon hob eine Schulter. »Ich weiß nicht. Völlig immun gegen so was ist wohl keiner, egal, was er im Grunde glaubt oder nicht glaubt.«
    Daisy nickte. »Jedenfalls hat er gesagt, es ist alles in Ordnung.«

    »Alles?«
    Sie lachte leise, machte wieder die Augen schmal, während sie die Zigarette zwischen die Lippen schob. »Alles.« Beide blickten sie durch das kleine, niedrige Zimmer, Rauch kräuselte sich über ihren Köpfen. Einmal, bei einem Sommergewitter, hatten sie hier gesessen, und zu dem halboffenen Fenster war ein kleiner Kugelblitz hereingefahren, wie verrückt an den Wänden entlanggesurrt und dann wieder zum Fenster hinausgezischt.
    Daisy lehnte sich zurück und zog den blauen Pullover weiter über ihren breiten, weichen Bauch hinab. »Das muss natürlich keiner wissen, dass er mir erschienen ist.«
    »Nein.«
    »Du bist mir ein guter Freund, Harmon.«
    Er sagte nichts, strich nur mit der Hand über das Sofakissen.
    »Übrigens, Kathleen Burnhams Neffe ist zur Zeit hier, mit seiner Freundin. Ich hab sie gerade vorbeifahren sehen.«
    »Sie waren drüben im Clubhaus.« Er erzählte ihr, wie das Mädchen den Kopf auf den Tisch gelegt hatte. Wie sie zu dem Jungen gesagt hatte: Hör auf, an mir zu schnüffeln.
    »Ist ja süß.« Wieder lachte Daisy leise.
    »Ich hab einfach eine Schwäche für junge Leute«, sagte Harmon. »Es wird schon genug auf ihnen rumgehackt. Alle denken immer, die junge Generation hat nichts Besseres zu tun, als die Welt in den Abgrund zu steuern. Aber das ist nicht wahr, überhaupt nicht. Die Jungen sind gut und voller Hoffnung - und so gehört es sich auch.«
    Daisy lächelte unverändert. »Ganz meine Meinung.« Sie zog ein letztes Mal an ihrer Zigarette und beugte sich vor, um sie auszudrücken. Sie hatte ihm erzählt, dass Copper und sie einmal gedacht hatten, sie wäre schwanger, und wie glücklich sie gewesen waren; aber es hatte nicht sein sollen.
Sie würde es nicht noch einmal erwähnen. Stattdessen legte sie die Hand auf seine, spürte das feste Fleisch über seinen Knöcheln.
    Im nächsten Moment waren sie beide aufgestanden und stiegen die schmale Treppe zu dem kleinen Zimmer hinauf, wo die Sonne, die zum Fenster hereinschien, eine rote Glasvase auf der Kommode zum Glühen brachte.
     
    »Scheint ja ein großer Andrang gewesen zu sein.« Bonnie zupfte lange Bänder aus grüner Wolle. Ein weicher Haufen dieser Bänder lag zu ihren Füßen in der Spätvormittagssonne, die durch das Fenster neben Bonnie fiel und das Muster seiner vielen kleinen Scheiben auf die Kieferndielen malte.
    »Du hättest wirklich mitkommen sollen. Das Wasser ist herrlich. So ruhig und glatt. Aber jetzt frischt der Wind auf.«
    »Ich seh die Bucht auch von hier.« Sie hatte nicht aufgeschaut. Ihre Finger waren lang. Ihr schlichter goldener Ehering, der lose hinter dem Gelenk saß, fing bei jedem Abzupfen das Sonnenlicht ein. »Sind wohl viele Touristen da, dass du so lange warten musstest.«
    »Nein.« Harmon ließ sich in seinen Fernsehsessel fallen, der zum Wasser gedreht stand. Er dachte an das Pärchen. »Gut, vielleicht. Aber hauptsächlich waren es dieselben wie immer.«
    »Hast du mir einen Doughnut mitgebracht?«
    Er beugte sich vor. »Ach je. Ach du Schreck. Ich hab ihn dort liegenlassen. Ich fahr ihn schnell holen, Bonnie.«
    »Unsinn, lass.«
    »Doch, wirklich.«
    »Setz dich hin.«
    Er war nicht aufgestanden, war aber drauf und dran gewesen, die Knie angewinkelt, die Hände schon auf den Armlehnen. Er zögerte, lehnte sich wieder zurück. Er nahm

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