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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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geradewegs vorbei an dem blauen Schild, auf dem NOTAUFNAHME stand.
    »Was machst du denn?«, fragte Olive. »Herrgott noch mal!«
    »Ich wollte dich zum Haupteingang bringen.«
    »Halt verdammt noch mal an!«
    »Ach, Olive.« Seine Stimme klang resigniert, wahrscheinlich, weil er es nicht mochte, wenn sie fluchte. Er stieß zurück und hielt vor der breiten, hell angestrahlten blauen Tür der Notaufnahme.
    »Danke«, sagte Olive. »Und, war das jetzt so schwer?«
     
    Die Schwester in dem großen, vor Sauberkeit und Leere blitzenden Foyer sah von ihrem Tresen auf. »Wo ist die Toilette?«, sagte Olive, und die Schwester hob ihren Arm im weißen Pullover und zeigte damit. Olive schwenkte flüchtig die Hand überm Kopf und trat durch die Tür.
    »Uff«, sagte sie laut zu sich. »Uff!« Glück ist die Abwesenheit von Schmerz, hatte Aristoteles gesagt. Oder Plato. Einer von beiden. Olive hatte ihren Collegeabschluss mit Auszeichnung gemacht. Was Henrys Mutter allen Ernstes ein Dorn im Auge gewesen war. Das musste man sich mal vorstellen.
Pauline hatte doch tatsächlich Bemerkungen darüber fallen lassen, dass Mädchen, die mit Auszeichnung abschlossen, graue Mäuse seien und keinen Spaß verstünden … Nun, Olive würde sich diesen Moment nicht kaputtmachen, indem sie an Pauline dachte. Sie sah zu, dass sie fertig wurde, wusch sich die Hände, und während sie sie unter den Trockner hielt, schaute sie sich in dem Raum um, der riesig war, fast so groß wie ein OP-Saal. Alles der Rollstuhlfahrer wegen. Heutzutage landete man vor Gericht, wenn man irgendetwas so baute, dass kein Rollstuhl hineinpasste, aber sie würde sich lieber erschießen lassen, falls es mit ihr je so weit kam.
    »Alles in Ordnung bei Ihnen?« Die Schwester wartete auf dem Korridor; ihr Pullover und die lange Hose hingen schlaff an ihr herab. »Was haben Sie? Durchfall?«
    »Mehr eine Explosion«, sagte Olive. »Mordsmäßig. Aber jetzt ist alles bestens, danke.«
    »Haben Sie sich übergeben?«
    »Nein, nein.«
    »Irgendwelche Allergien?«
    »Nichts.« Olive sah sich um. »So richtig viel Betrieb ist hier aber nicht.«
    »Stimmt. An den Wochenenden ist mehr los.«
    Olive nickte. »Wenn die Leute ausgehen und feiern. Und dann gegen Bäume fahren.«
    »In der Mehrzahl der Fälle«, sagte die Schwester, »sind es eher Familiendramen. Letzten Freitag hat ein Bruder seine Schwester aus dem Fenster geschubst. Sie hatten Angst, sie könnte sich den Hals gebrochen haben.«
    »So was«, sagte Olive. »Und das alles im friedlichen kleinen Maisy Mills.«
    »Es war dann aber doch nicht so schlimm. So, ich glaube, der Herr Doktor ist jetzt frei.«
    »Oh, ich brauch keinen Arzt. Ich hab ein Klo gebraucht.
Wir waren mit Freunden essen, und ich hab alles vertilgt, was nicht niet- und nagelfest war. Mein Mann wartet draußen auf dem Parkplatz auf mich.«
    Die Schwester griff nach Olives Hand und inspizierte sie. »Immer schön eins nach dem anderen, ja? Jucken Ihre Handflächen? Ihre Fußsohlen?« Sie sah an Olive hoch. »Sind Ihre Ohren immer so rot?«
    Olive fasste sich an die Ohren. »Wieso?«, sagte sie. »Muss ich jetzt sterben?«
    »Wir haben erst gestern eine Patientin verloren«, sagte die Schwester. »Etwa in Ihrem Alter. Sie war mit ihrem Mann essen, wie Sie, und wurde dann mit Durchfall hier eingeliefert.«
    »Jetzt hören Sie aber auf«, sagte Olive, aber ihr Herz hämmerte, und ihr wurde ganz heiß im Gesicht. »Was zum Teufel hat ihr denn gefehlt?«
    »Sie war allergisch gegen Krebsfleisch und hatte einen anaphylaktischen Schock.«
    »Sehen Sie. Und ich bin nicht allergisch gegen Krebsfleisch.«
    Die Schwester nickte gelassen. »Diese Frau hatte es jahrelang gegessen und nie irgendwelche Probleme gehabt. Der Herr Doktor wirft nur kurz einen Blick auf Sie. Immerhin waren Sie ziemlich rot im Gesicht, als Sie reinkamen, und wirkten sichtlich erregt.«
    Olive fühlte sich jetzt deutlich erregter als vorhin, aber das würde sie der Schwester nicht auf die Nase binden, genauso wenig, wie sie ihr gegenüber die mit Krebsfleisch gefüllten Champignons erwähnen würde. Wenn der Arzt nett war, würde sie es ihm erzählen.
    Henry wartete mit laufendem Motor gleich vor dem Eingang zur Notaufnahme. Sie machte ihm ein Zeichen, dass er das Fenster herunterlassen sollte. »Sie wollen mich anschauen.«

    »Wie, anschauen?«
    »Mich untersuchen. Sichergehen, dass ich keinen allergischen Schock habe. Dreh doch das verdammte Ding leiser.« Dabei streckte er schon die Hand

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