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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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aus, um das Spiel der Red Sox auszuschalten.
    »Du liebe Güte, Ollie. Fehlt dir was?«
    »Irgendeine Frau ist gestern an Krebsfleisch erstickt, und jetzt haben sie Angst, sie werden sonst verklagt. Sie messen mir nur schnell den Puls, und dann komme ich. Aber du solltest besser woanders parken.«
    Die Schwester stand weiter hinten im Korridor und hielt ihr einen riesigen grünen Vorhang auf.
    »Er hört Baseball«, sagte Olive, während sie zu ihr ging. »Wenn er denkt, ich bin tot, wird er schon reinkommen.«
    »Ich werd Ausschau nach ihm halten.«
    »Er hat eine rote Jacke an.« Olive stellte ihre Handtasche auf einen Stuhl und setzte sich auf die Untersuchungsliege, während die Schwester ihr den Blutdruck maß.
    »Vorsicht ist besser als Nachsicht«, sagte die Schwester. »Aber Ihnen wird schon nichts fehlen.«
    »Das sehe ich auch so«, sagte Olive.
    Die Schwester drückte ihr ein Klemmbrett mit einem Formular in die Hand, und Olive saß auf der Untersuchungsliege und füllte es aus. Sie betrachtete eingehend ihre Handflächen und legte das Klemmbrett neben sich. Gut, wenn man in die Notaufnahme getaumelt kam, war es wohl fast unumgänglich, dass man untersucht wurde. Sie würde brav die Zunge herausstrecken, Fieber messen lassen und heimgehen.
    »Mrs. Kitteridge?« Der Arzt hatte ein unauffälliges Gesicht und wirkte kaum alt genug, um schon Medizin studiert zu haben. Er umfasste sanft ihr dickes Handgelenk und fühlte ihr den Puls, während sie ihm erzählte, dass sie ein neues Restaurant ausprobiert hatten und dass sie lediglich eine Toilette
gebraucht hatte, und ja, sie hätte fürchterlichen Durchfall gehabt, aber keine juckenden Hände oder Füße.
    »Was hatten Sie zu essen?«, fragte der Arzt in interessiertem Ton.
    »Als Vorspeise mit Krebsfleisch gefüllte Champignons, und ich weiß, dass diese alte Frau hier gestern an so was gestorben ist.«
    Der Arzt berührte Olives Ohrläppchen und kniff die Augen zusammen. »Ausschlag kann ich jetzt keinen sehen«, sagte er. »Was haben Sie sonst noch gegessen?«
    Es gefiel ihr, dass dieser junge Mann so gar nicht gelangweilt wirkte. Bei so vielen Ärzten fühlte man sich grässlich, wie ein Fettklumpen, der auf einem Fließband an ihnen vorbeifuhr.
    »Steak. Und eine Ofenkartoffel. Kindskopfgroß. Rahmspinat. Warten Sie.« Olive schloss die Augen. »Und noch einen mickrigen kleinen Salat. Aber mit einem ziemlich feinen Dressing drüber.«
    »Suppe? In Suppe sind oft Zusatzstoffe, die allergische Reaktionen auslösen können.«
    »Keine Suppe«, sagte Olive und öffnete die Augen wieder. »Aber ein leckeres Stück Käsekuchen zum Nachtisch. Mit Erdbeeren.«
    Der Arzt sagte, während er mitschrieb: »Höchstwahrscheinlich ist das einfach ein Fall von aktivem Gastro-Reflux.«
    »Verstehe«, sagte Olive. Sie überlegte einen Moment und setzte dann rasch hinzu: »Statistisch gesehen ist es wohl auch nicht zu erwarten, dass bei Ihnen zwei Frauen an zwei aufeinanderfolgenden Abenden an der gleichen Sache sterben.«
    »Ich glaube nicht, dass Ihnen etwas fehlt«, sagte der Arzt. »Aber ich untersuche Sie lieber trotzdem - Unterleib abtasten, Herz abhören, so was.« Er drückte ihr ein Viereck aus
blauem, knistrigem Plastik in die Hand. »Ziehen Sie das hier an, mit der Öffnung nach vorn. Nichts drunter anlassen, bitte.«
    »Muss das sein«, murrte Olive, aber er hatte schon den Vorhang hinter sich zufallen lassen. »Muss das sein«, sagte sie noch einmal und rollte mit den Augen, aber sie gehorchte, weil er freundlich gewesen war und weil die Frau mit dem Krebsfleisch gestorben war. Olive faltete ihre lange Hose zusammen und legte sie über den Stuhl, die Unterhose sorgsam daruntergeschoben, damit der Arzt sie nicht sah, wenn er wieder hereinkam.
    Ein albernes kleines Miniding von einem Gürtel, für Mickerlinge gemacht; es reichte kaum um sie herum. Aber sie schaffte es, brachte sogar eine winzige weiße Schleife zustande. Sie faltete die Hände, während sie wartete. Und ihr kamen dieselben beiden Gedanken, wie jedes Mal, wenn sie an dem Krankenhaus vorbeifuhr: dass sie hier geboren war und dass der Leichnam ihres Vaters nach seinem Selbstmord hierhergebracht worden war. Es war nicht, als hätte sie nichts durchgemacht in ihrem Leben, aber egal. Andere Leute hatten auch ihr Päcklein zu tragen.
    Sie schüttelte kurz den Kopf, als ihr der Mensch wieder einfiel, der seine Schwester aus dem Fenster geworfen haben sollte. Wenn Christopher eine Schwester hätte, würde

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