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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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übers Bein: ein Geschenk, einen Menschen so viele Jahre kennen zu dürfen.

    Mrs. Lydia hatte sich die Augen liften lassen; sie starrten aus ihrem Kopf wie die Augen einer Sechzehnjährigen.
    »Sie sehen phantastisch aus«, sagte Jane, obwohl der Effekt aus der Nähe etwas Grusliges hatte. »Einfach phantastisch«, wiederholte sie, schließlich musste es doch sehr unheimlich gewesen sein, sich von jemandem mit dem Skalpell so nah an den Augen herumschneiden zu lassen. »Wie geht es Lydia?«, fragte Jane. »Und den anderen?«
    »Lydia heiratet wieder«, sagte Mrs. Lydia und trat zur Seite, um jemanden vorbeizulassen. »Sehr zu unserer Freude.«
    Ihr Mann, untersetzt, rundschultrig, verdrehte die Augen und ließ die Münzen in seiner Tasche klimpern. »Geht ins Geld«, sagte er, und seine Frau, auf deren goldenem Haar ein rotes Filzhütchen saß, schoss einen raschen Blick zu ihm hinüber, den er zu ignorieren schien. »Diese ganzen verdammten Therapeutenrechnungen«, erklärte er; er sagte es zu Bob, mit einem kleinen Lachen von Mann zu Mann.
    »Hmm«, sagte Bob freundlich.
    »Aber erzählen Sie, was treibt Ihre Kükenschar?« Mrs. Lydias Lippenstift war dunkel und perfekt aufgetragen.
    Und so zählte Jane alle ihre Enkel dem Alter nach auf, beschrieb die Stellen, die ihre Schwiegersöhne derzeit hatten, und das Mädchen, das Tim hoffentlich bald heiraten würde. Und weil die Lydias zu alledem nur nickten, ohne auch nur »Wie schön« zu sagen, musste Jane immer weiterreden, als eine Art Puffer zwischen ihr und den nahen, irgendwie lauernden Gesichtern der beiden. »Tim ist dieses Jahr Fallschirm gesprungen«, berichtete sie, und sie erzählte, welche Ängste sie deshalb ausgestanden hatte. Allerdings war er nach ein paar Sprüngen offenbar davon abgekommen, jedenfalls hatte er es seitdem nicht mehr erwähnt. »Aber ganz ehrlich«, sagte Jane schaudernd und zog ihren schwarzen Mantel fester um sich. »Aus einem Flugzeug springen, können Sie sich so was
vorstellen?« Sie selbst konnte es sich lebhaft vorstellen, und sie bekam Herzrasen dabei.
    »Besonders risikofreudig sind Sie nicht, kann das sein, Jane?« Mrs. Lydia sah sie an mit ihren neuen Augen. Beklemmend, diese Augen einer Sechzehnjährigen im Kopf einer alten Frau.
    »Nein«, sagte Jane, aber sie hatte das unbestimmte Gefühl, beleidigt worden zu sein, und als sie Bobs Arm am Ellbogen spürte, wusste sie, dass auch er es so empfunden haben musste.
    »Sie hatten bei mir schon immer einen Stein im Brett, Janie Houlton«, verkündete der vierschrötige, rotgesichtige Mr. Lydia unvermittelt, und er streckte die Hand aus und tätschelte ihr durch ihren guten schwarzen Mantel hindurch die Schulter.
    Plötzlich war ihr diese ganze Farce zu viel. Was antwortete man, wenn ein vierschrötiger, unansehnlicher kleiner Mann, mit dem man ein paar Jahre lang flüchtig zu tun gehabt hatte, einem eröffnete, man habe bei ihm schon immer einen Stein im Brett gehabt? »Machen Sie auch schon langsam Pläne für den Ruhestand, Alan?«, fragte sie freundlich.
    »Ganz bestimmt nicht«, antwortete er. »Ruhestand gibt’s für mich erst, wenn ich tot bin.« Er lachte, und sie lachten mit, und aus seinem raschen Blick zu Mrs. Lydia und der Art, wie sie kurz die nagelneuen Augen verdrehte, wurde Jane Houlton klar, dass er wenig Lust hatte, den ganzen Tag daheim bei seiner Frau zu sein, und sie wenig Lust, ihn den ganzen Tag um sich zu haben. Mr. Lydia sagte zu Bob: »Sie sind dann ja in Rente gegangen, oder, nachdem wir uns damals begegnet sind? War das nicht ein Ding, wie wir da plötzlich am Flughafen von Miami voreinanderstanden?«
    »Die Welt ist klein«, fügte Mrs. Lydia hinzu, worauf sie sich mit ihrer behandschuhten Hand am Ohrläppchen zupfte,
ein Momentchen zu Jane hinsah und dann hinüber zur Treppe, die auf die Empore führte.
    Bob machte einen Schritt zur Seite, bereit, wieder hineinzugehen.
    »Wann war das?«, fragte Jane. »Miami?«
    »Vor ein paar Jahren. Wir waren da diese Freunde besuchen, von denen wir Ihnen erzählt hatten« - Mr. Lydia nickte Bob zu -, »in ihrem kleinen Luxusgetto. Also mich könnten Sie mit so was ja jagen.« Er schüttelte den Kopf, blinzelte dann zu Bob hoch. »Macht Sie das nicht wahnsinnig, den ganzen Tag daheim zu hocken?«
    »Ich find’s wunderbar«, sagte Bob mit fester Stimme. »Ganz wunderbar.«
    »Wir unternehmen ja auch alles Mögliche«, fügte Jane hinzu, als müsste sie sich rechtfertigen.
    »Was zum Beispiel?«
    Und plötzlich

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