Mit Blindheit Geschlagen
Willi auch. Den hätt ich fast vergessen. Aber von denen habe ich seit neunzig nichts gehört und nichts gesehen. Wolle hatte mit denen auch nicht viel zu tun. Die haben nur den Kurier gemacht in den Osten. Ich konnte da nicht rüber, wär aufgefallen, hab drei Jahre und ein paar zerquetschte in Bautzen zwo gesessen.«
»Dem Stasi-Gefängnis?«
»Klar.«
»Warum?«
»Warum wohl! Weil ich meine Freundin rausholen wollte und die mich verpfiffen hat bei der Stasi. Darum.«
Er lachte.
Stachelmann schaute zur Tür.
»Nein, nicht die. Die hieß Rosi.«
»Und sie hat Sie verraten, weil Sie sie rausholen wollten?«
»Gucken Sie nicht so. Irgendwie hatte die Stasi was spitzgekriegt und ist Rosi auf die Pelle gerückt. Ab nach Hohenschönhausen und in die Mangel genommen. Hat sie natürlich nicht lange durchgehalten. Dann hatten wir so ’ne Gegenüberstellung im Knast, und die Stasis haben sich was gelacht. Die Rosi hat gesagt, ich hab sie überredet abzuhauen, und ich wär ein Fluchthelfer. War ja nicht falsch. Ihr Lohn war ’ne kurze Strafe und ein flotter Freikauf. Sie lebt in Dortmund, hat mir mal einer erzählt. Als ich raus war, hab ich überlegt, ob ich sie erwürgen soll, aber das hätte Bautzen auch nicht weggemacht. Sollse glücklich werden.«
Je länger der Mann redete, desto sympathischer wurde er Stachelmann. Ihn beeindruckte die Gelassenheit, sie schien nicht gespielt. Der nahm sein Schicksal an. »Und als Sie entlassen waren, haben Sie weiter Leute aus der DDR geholt.«
»Das war meine Rache an diesen Schweinen. Aber drüben durfte ich mich nicht blicken lassen. Nix war es mehr mit Zigaretten und Schnaps kaufen im Bahnhof Friedrichstraße. Und in Westberlin musste ich auch aufpassen. Heute weiß ich, dass die x IMs losgeschickt haben, um Fluchthelfergruppen auffliegen zu lassen, aber damals hab ich es gerochen. Und vor allem Wolle hat es gerochen. Der witterte Spitzel sofort. Wenn Wolle sagte, mit dem und dem wollen wir nix mehr zu tun haben, dann haben wir den abgeschüttelt. Paarmal zu ’nem falschen Treff bestellt, und der verlor die Lust. Einer war hartnäckig, der ist dann zufällig an ein paar Schläger geraten. Na ja, Künstlerpech.«
Stachelmann musste lachen, Wittstock fiel kurz ein.
»Hört sich heute an wie Wilder Westen«, sagte er.
»Wilder Osten«, erwiderte Stachelmann.
Wittstock grinste. »Und was sind Sie für einer?«
»Historiker, an der Uni Hamburg.«
»’nen Eierkopp verirrt sich in meine Bude.« Er lachte wieder, nicht hämisch, sondern offen, fast herzlich. »Also ein Kollege von Wolle, der ist ja auch einer. Aber irgendwie war der doch keiner. Sie sind da schon echter.«
Stachelmann grinste und berichtete kurz von seiner Arbeit. Wittstock schaute ihn aufmerksam an aus kleinen dunkelgrünen Augen. »Davon versteh ich nichts. Ich bin Schlosser und kann noch ein paar andere Sachen. Mehr so mit der Hand. Noch ’nen Kaffee?«
Stachelmann dankte und stand auf. »Ich fahr jetzt nach Charlottenburg und dann nach Hause.«
Wittstock reichte ihm die Hand. »Machen Sie sich mal nicht zu viel Sorgen. Wolle treibt sich irgendwo rum. Der taucht bald wieder auf und tut so, als wär nichts gewesen. Jede Wette.«
Die Knie fühlten sich wacklig an, als Stachelmann die Treppe hinunterstieg. Er setzte sich hinters Steuer seines Golfs und versuchte den Atem zu beruhigen. Er drehte den Rückspiegel, bis er sich selbst sah. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, der heiße Kaffee und die Anstrengung. Die gute Laune hatte er im Treppenhaus verloren. Er schimpfte leise vor sich hin. Ich verplempere meine Zeit auf der Suche nach einem Typen, den ich einmal gesehen habe. Da klingelte sein Handy. Es war Ines.
»Hast du ihn gefunden?«
Blöde Frage, hätte Stachelmann fast geantwortet.
»Nein, und offenbar hat er sich nicht gemeldet bei dir.«
»Nein.«
»Ich war bei diesem Henry Wittstock, ein passabler Zeitgenosse, verglichen jedenfalls mit deinem Freund Pawelczyk. Er hat mir gesagt, ich soll nach Charlottenburg fahren, zu einer Kleingartenkolonie. Dort hätten sie sich früher oft getroffen. Wenn dein Mann untertauchen wolle, sei dies ein prima Ort.«
»Fährst du hin?« Sie klang kläglich.
»Liegt fast auf dem Heimweg«, sagte Stachelmann.
»Und wenn du ihn dort nicht findest, kommst du zu mir.«
»Ehrlich gesagt, ich hin hundemüde, würde mich lieber zu Hause ausschlafen.«
»Ich habe Angst.« Sie sagte es leise.
»Angst, vor was?«
»Ich weiß nicht.«
»Hast
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