Mit Blindheit Geschlagen
schlecht geträumt. Es gibt keinen Grund, Angst zu haben.«
»Entschuldige bitte.«
Als sie aufgelegt hatte, meldete sich das schlechte Gewissen.
Nein, er ließ sich nicht weiter zum Affen machen. Es reichte ihm. War er zuständig für Ines’ Angstträume?
Inzwischen war mehr los auf den Straßen. Er quälte sich durch Mitte und Tiergarten, Touristenautos bremsten den Verkehr. Die Leute aus Essen, München oder Frankfurt am Main hatten in ihrem Leben nie grüne Pfeile an Ampeln gesehen, da standen sie und warteten, bis das Rot erlosch. Von der DDR ist nichts geblieben außer dem grünen Pfeil, und nicht mal den kennen die Autisten aus dem Westen. Wenigstens ließ sich die Sonne hin und wieder blicken, das erste Mal seit langem.
Auf dem Spandauer Damm fuhr er langsam und beachtete das Gehupe hinter ihm nicht. Er fuhr an Laubenpieperkolonien vorbei, sah das Schild Sonntagsfrieden und bog an der nächsten Kreuzung rechts ab. Heinrich-Zille-Weg. Er stellte den Wagen ab, stieg aus und ging gemächlichen Schritts die Straße zurück bis zum Schild. Der Eingang war leicht zu finden. Er öffnete das Tor, ein Stahlrahmen mit Maschendraht, und ging zum vierten Haus auf der rechten Seite. Vor der Haustür stand im hohen Gras ein Gartenzwerg mit roter Mütze und Gewehr. Stachelmann grinste. Er rüttelte an der Tür im Holzlattenzaun, dessen einst grüner Anstrich schon fast abgeblättert war.
»Was machen Sie da?«, rief eine unfreundliche Stimme.
Stachelmann drehte sich um und sah einen kleinen Mann mit Glatze auf ihn zueilen. Er trug einen grünen Parka und schien etwas jünger als Stachelmann zu sein. Der überlegte, wie dem Mann eine Kalaschnikow über der Schulter stehen würde.
Dann stand der Mann vor ihm, er atmete schnell.
»Was machen Sie da?«, wiederholte er.
»Ich suche jemanden.«
»Wen?«
»Darf ich fragen, ob Sie das was angeht?«
»Ich bin der Vorsitzende des Vereins.«
»Dann kennen Sie gewiss Herrn Professor Griesbach.«
»Den suchen Sie?«
»Ja.«
»Wenn er hier ist, dann in diesem Haus. Aber ich hab ihn schon ewig nicht mehr gesehen. Die Pächterin ist seine Tante. Oder war es, wenn ich die Schlamperei hier so sehe.«
»Macht es Ihnen was aus, wenn ich jetzt weitersuche?«
»Warum sollte es mir was ausmachen?«, erwiderte der Mann feindselig. Er übertrug offenbar seinen Zorn auf Griesbachs Tante auf Stachelmann.
Stachelmann griff über das Tor nach der Innenseite des Schlosses. Er fand den kleinen Riegel gleich, zog ihn zurück und öffnete das Tor. Der Mann blieb dicht hinter ihm, als sich Stachelmann dem Gartenhaus näherte. Die Tür war verschlossen. Er klopfte und wartete, niemand rührte sich. Stachelmann ging um das Haus herum und schaute in die Fenster, er mühte sich, das Licht mit der Hand abzuschirmen. Ein Tisch, ein Sofa, Stühle, er erkannte nicht viel. Der Glatzkopf blieb ihm auf den Fersen. Dann verschwand er plötzlich, um nach ein paar Sekunden zurückzukehren, einen Schlüssel in der Hand. Er streckte ihn Stachelmann hin. »Und da wundern sich die Gar-tenfreunde, dass so viel eingebrochen wird. Unter dem Zwerg mit dem Gewehr lag er.«
Stachelmann nahm den Schlüssel, er passte ins Haustürschloss. Drinnen wirbelten sie Staub auf. Es sah aus, als wäre lange niemand mehr im Haus gewesen. »So eine Unordnung«, sagte der Mann. »Noch schlimmer als draußen. Das hat Folgen.« Er schüttelte den Kopf. »So eine Sauerei.« Seine Stimme war heiser geworden vor Empörung. Er trat gegen einen Hokker, der fiel um. Eine Staubwolke stieg auf. »So kommt es, wenn man den Leuten vertraut. Das hat Folgen.« Er hechelte wie ein Hund. Sie durchsuchten alle drei Räume und fanden nichts außer Staub und Gerümpel. In einem Zimmer lag auf einem niedrigen Regal eine Ausgabe der Historischen Zeitschrift aus dem Jahr 1988. Den Einband verschmutzte ein runder brauner Fleck, er sah aus wie die Spur eines Kaffeebechers.
Sie verließen das Haus, Stachelmann gab dem Glatzkopf den Schlüssel. »Wiedersehen«, sagte er und ging. Die Suche war beendet. Soll Ines einen Privatdetektiv beauftragen, und irgendwann würde auch die Polizei eine Vermisstenanzeige ernst nehmen. Stachelmann war erleichtert, auch wenn er sich ärgerte. Sie hat mich ausgenutzt. Sie macht einen so beherrschten, ja überlegenen Eindruck, aber hinter der Fassade lauert die Hysterie.
Stachelmann lief das kurze Stück entlang des Spandauer Damms, stieg in sein Auto und fuhr Richtung Autobahn. Er fand eine Tankstelle vor der
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