Mit Blindheit Geschlagen
schauderte ihn. Er stellte sich vor, wie eine Leiche aussehen mochte. Außerdem würde er der Polizei die Arbeit erschweren. Er musste sie gleich anrufen. Er wählte die 110, drückte aber nach dem ersten Rufton auf das rote Hörersymbol.
Wie war jemand gestorben, den man in einen Sack steckte? War es ein übler Scherz? Zufall? Da hatte jemand einen unverschlossenen Kofferraum gesucht und den von Stachelmanns Golf gefunden. Statt was zu klauen, hatte er was hineingetan. »Ist ja originell«, flüsterte Stachelmann. Er überlegte, ob er die Leiche verschwinden lassen sollte. Einfach in die Trave werfen, ein Stück Richtung Berlin fahren, an irgendeiner Raststätte abladen. Er wusste, er würde eine Menge Ärger haben, man konnte nicht mit einer Leiche durch die Gegend fahren, ohne dass einem Fragen gestellt würden. Er drückte die Wahlwiederholungstaste.
»Polizeiinspektion Lübeck.«
Sie brauchten keine zehn Minuten, er sah den Widerschein des Blaulichts im Fenster. Als es klingelte, schloss er die Wohnungstür hinter sich und ging hinunter. An der Tür erwartete ihn ein uniformierter Beamter mit drei Sternen auf der Schulter, einen zweiten erkannte er hinter dem Steuer des silbergrünen Passats.
»Sie haben uns gerufen«, sagte der Polizist. Er war groß und hatte graue Haare.
Stachelmann nickte.
»Steigen Sie bitte ein und führen Sie uns zu Ihrem Wagen.« Der Polizist öffnete ihm die Fondtür.
Stachelmann stieg ein und beschrieb den Weg. Der kleine Polizist hinter dem Steuer fuhr zügig und mit Blaulicht. Er trug zwei Sterne. Nach kurzer Fahrt hielt er hinter Stachelmanns Golf und ließ die Scheinwerfer brennen. Der große Polizist stieg aus, er hatte eine Taschenlampe in der Hand. Stachelmann schloss die Kofferraumklappe auf. Als der Polizist den Sack sah, stand er einen Augenblick still und überlegte. Dann leuchtete er den Kofferraum aus und ging zurück zum Wagen. »Ruf die Mordkommission«, sagte er zu seinem Kollegen. Stachelmann hörte ein Zischen und Knistern und sah, wie der kleine Polizist das Funkgerät benutzte. Der Polizist mit den drei Sternen ging zurück zu Stachelmann. »Die Kollegen kommen gleich«, sagte er. »Ich weiß ja nicht, was in dem Sack drin ist, aber es sieht nicht gut aus. Hoffen wir, es sind alte Zeitungen. Darf ich Ihre Papiere sehen?«
Stachelmann holte Führerschein, Kfz-Schein und Personalausweis aus seiner Brieftasche und gab sie dem Polizisten. Der zog einen Block hervor und schrieb etwas daraus ab. Dann gab er Stachelmann die Papiere zurück.
Stachelmann fröstelte, feiner Regen glitzerte im Scheinwerferlicht. Er überlegte, ob er den Kofferraum schließen durfte. Aber er blieb stehen und sagte nichts.
Dann kam ein Zivilauto, schwarze Farbe, zwei Männer stiegen aus. Der große Polizist legte zwei Finger an die Schirmmütze. Dann reichte er dem einen Zivilisten die Hand und berichtete ihm. Der Zivilist musterte Stachelmann kurz und wandte sich wieder dem Polizisten zu. Als der fertig war, trat der Zivilist zu Stachelmann. Der Mann trug einen Oberlippenbart, als wüsste er, dass man sein Gesicht sonst gleich vergessen würde. Er war mittelgroß und nicht dick oder dünn.
»Sie sind Herr Dr. Stachelmann, der Halter des Wagens?«, fragte er Stachelmann. Er klang heiser.
Stachelmann nickte.
»Na, dann wollen wir mal schauen.«
Er ging zum Kofferraum, sein Kollege, der sich bis dahin nicht gerührt hatte, stellte sich neben ihn. Er trug einen Hut und sah dem anderen ähnlich, allerdings fehlte ihm der Oberlippenbart. Dafür saß eine runde Brille fast schon auf der Nasenspitze.
Der mit dem Bart war offenbar der Chef. Er zog sich weiße dünne Handschuhe an und nestelte am Verschluss des Sacks herum. Bald fluchte er leise, er kriegte den Sack nicht auf, ohne ihn zu beschädigen. »Machen wir es eben auf die andere Art«, schimpfte er. Mit einem Taschenmesser schlitzte er den Sack zur Hälfte auf. Er zog den Spalt auseinander und wurde bleich. »Scheiße«, sagte er. »Gerichtsmedizin, Spurensicherung.« Sein Kollege setzte sich in das Auto und sprach ins Funkgerät.
»So eine Scheiße. Immer am Wochenende, immer nachts, immer bei so einem Scheißwetter. Ich geh jetzt mal mit dem Dr. Stachelmann in seine Wohnung. Du machst das hier.« Er wandte sich an Stachelmann. »Kommen Sie, wir gehen mal zu Ihnen.«
Als sie in der Wohnung waren, sagte der Mann: »Ich hab ganz vergessen, mich vorzustellen. Oberkommissar Burg, Mordkommission Lübeck. Ob Sie uns mal einen Kaffee
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