Mit Blindheit Geschlagen
Notizen gemacht über ein paar Studenten, vielleicht hatte Heinz mit denen Glück.
Er war aufgeregt, dachte an Margarete, die gleich kommen würde. Bestimmt war sie pünktlich, auf Kundschafter konnte man sich verlassen. Griesbach war ein bisschen stolz, er würde Margarete beeindrucken durch seinen Fleiß und, viel mehr noch, weil er begriffen hatte, worauf es ankam. Dann dachte er an Helga und fühlte sich mies. Was sollte er ihr sagen, wenn sie sich trafen? Ich wurde Spion, weil sie dich als Geisel hatten? Das stimmte. Aber es war nicht mehr alles. Ich wurde Agent, weil ich gerne mit Margarete zusammen bin? Zusammen wäre. Der romantische Spion. Oder vielleicht diese Variante: Sie haben mich gedrückt, ich wollte nicht nach Bautzen zwo, und ich wollte nicht, dass du im Knast versauerst oder sonst wie schikaniert wirst. Und dann habe ich Margarete getroffen, seitdem spüre ich den Zwang nicht mehr so arg. Um die Erpressung auszuhalten, finde ich Argumente, die es mir leichter machen. Immerhin, ich bin für den Sozialismus, auch wenn der in der DDR hässlich aussieht. Der Sozialismus ist eine Übergangsphase, genau. Das hatte auch Margarete gesagt. Dabei hatte sie ihn angeschaut aus ihren tiefen braunen Augen, und ihm war es den Rücken hinuntergelaufen.
Es klingelte. Er sprang auf und hetzte die Treppen hinunter. Margarete lachte ihn an und folgte ihm hinauf. Im zweiten Stock öffnete sich eine Wohnungstür, die Vermieterin schaute hinaus. Frau Patzeck hatte das Haus von ihrem Mann geerbt. Sie betrachtete Margarete von oben bis unten, verzog das Gesicht und schloss die Tür. Margarete kicherte. »Doller Drachen«, flüsterte sie. »Wie aus dem Bilderbuch.«
Griesbach lachte mit. Die Beschreibung passte, die Patzeck konnte bestimmt Feuer speien.
In seiner Bude kochte er einen Kaffee und zeigte Margarete, was er gesammelt und herausgefunden hatte. Margarete lobte ihn, er habe eine Nase für die wichtigen Dinge. Andere würden alles sammeln, aber zu viele Informationen, vor allem zu viele unwichtige, erschwerten die Auswertung. Man komme vom Hölzchen aufs Stöckchen, um schließlich gar nichts mehr zu kapieren. Ein guter Kundschafter wisse gute Informationen einzuschätzen. Er sei auf dem besten Weg, ein guter Kundschafter zu werden.
Sie saß auf dem Stuhl, er auf dem Bett ihr gegenüber. Sie trank viel Kaffee, war gut gelaunt und hatte diese strahlenden Augen. In der Nacht hatte Griesbach von ihnen geträumt. Er überlegte, ob er sich ihr nähern sollte. Er hätte Margarete gerne gestreichelt. Aber er sah in ihren Augen keine Aufforderung. Sie sprach vom unaufhaltsamen Voranschreiten des Sozialismus unter Führung der Sowjetunion, und er hörte zu. Man müsse auf der richtigen Seite stehen, auch wenn die noch viele Fehler habe. Manchmal verdeckten die Fehler sogar den Kern, aus dem die neue Gesellschaft wachse.
Griesbach kannte die Wörter und die Sätze, aber aus ihrem Mund hörten sie sich anders an. Sie waren plötzlich lebendig.
Ihr Vorbild sei Richard Sorge, sagte sie dann, der Meisterspion, der Stalin 1941 vor dem Angriff der Deutschen gewarnt habe. Stalin habe ihm nicht geglaubt und ihn später sogar verraten. Trotzdem habe Sorge nicht geschwankt in seiner Treue. »Wir werden das schon hinkriegen. Vor allem müssen wir dich zum Professor aufbauen, dann musst du viele Aufsätze schreiben, öffentlich auftreten und ein bekannter Historiker werden. Ein rechtssozialdemokratischer, der aber realistisch ist. Das heißt, er erkennt an, dass es die DDR gibt, und er will, dass sein Land gute Beziehungen zu ihr pflegt. Dass das richtig ist, zeigt die Geschichte. Außerdem greift dieser Professor die Leute an, die aufrüsten wollen und die gegen gute Beziehungen mit der DDR sind. Dieser Professor hält den Sozialismus der DDR nicht für seine Gesellschaftsordnung, aber er respektiert, dass sie eine interessante Alternative ist. Gleichzeitig verhaut er alle Linken in Westberlin und der Bundesrepublik. Er tritt der SPD bei und macht Karriere.«
»Jawohl, Genossin!« Griesbach lachte, sie stimmte ein.
»Das ist ja alles auf lange Sicht geplant.«
»Ja, Wolf. Wir haben viel mit dir vor. Wir brauchen eine Einflussposition. Für dich heißt das, du kannst deinem Hobby unbegrenzt frönen.« Sie zwinkerte ihm zu. »Ein Gruß von Helga. Wir haben ihr gesagt, du willst sie sehen. Aber sie will nicht, jedenfalls nicht im Augenblick.«
Es traf ihn nicht, er staunte. »Weißt du, warum?«
Sie beobachtete ihn. »Nein,
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