Mit Blindheit Geschlagen
Ihn fröstelte. Vielleicht plante der schon einen Anschlag? Als er im letzten Waggon angekommen war, lief er langsam zurück. Er beobachtete noch genauer. Da saß allein in einem Raucherabteil ein kräftiger Mann und las eine Boulevardzeitung. Er hatte militärisch kurz geschnittene Haare und eine Narbe auf der Stirn. Stachelmann ging weiter. Mach dich nicht lächerlich, einem Menschen sieht man nicht an, dass er ein Mörder ist. Dann fühlte er Blicke im Rücken, er drehte sich schnell um, ein kleiner Mann, untersetzt, mittleres Alter, Halbglatze, wich Stachelmanns Blick aus.
Vielleicht der?
Stachelmann ging ein Stück auf den Mann zu und kramte in seinen Taschen, als hätte er etwas vergessen. Er tat so, als beachte er den Mann nicht. Der hatte sich in sein Abteil gesetzt und schaute aus dem Fenster in den Schnee, als Stachelmann vorbeikam. Sein Gesicht spiegelte sich in der Scheibe. Das Herz schlug schneller. Ob der Verfolger sich verraten hatte, als er Stachelmann anstarrte?
Im letzten Wagen ging Stachelmann auf die Toilette und dachte nach. Wenn der ein Verfolger war, dann war er auch der Mörder. Wie konnte er es prüfen? Er setzte sich auf den Klodeckel und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Es kann eine Gelegenheit sein, dem Spuk ein Ende zu machen. Denk nach! Du musst am nächsten Bahnhof so tun, als stiegest du aus. Dann wird er dir folgen oder nicht. Dann steigst du wieder ein und schaust, ob er es auch tut. Wenn er es dir nachmacht, dann ist er es. Der Gedanke beruhigte ihn ein wenig. Er fühlte sich nicht mehr wehrlos, er würde den Kerl überraschen, ihn verunsichern, ihm heimzahlen, wenn auch nur wenig, viel zu wenig. Er entdeckte Wut in sich und richtete sie gegen den kleinen Mann, der ihn angestarrt hatte. Stachelmann schlug mit der Hand auf den Waschbeckenrand, es schmerzte. Dann verließ er die Toilette und ging zurück.
Das Abteil, in dem der kleine Mann gesessen hatte, war leer. Stachelmann lief weiter, über der Tür zum nächsten Waggon leuchtete das Besetztlicht der Toilette.
Dann ruckelte der Zug und fuhr los in die ursprüngliche Richtung, nach Hannover. Stachelmann erreichte sein Abteil und sah, dass die Frau ihren Koffer von der Gepäckablage gehoben hatte. »Entschuldigung!«, sagte sie und zog den Koffer an die Seite. »Wir steigen in Hannover aus und suchen uns ein Hotel«, ergänzte sie, als müsste sie etwas erklären.
»Ist nicht leicht, mit Kindern zu verreisen«, sagte Stachelmann, um etwas zu sagen.
Er schaute hinaus. Als sie an dem Kleinbahnhof vorbeifuhren, an dem sie beim letzten Mal halten mussten, trat Stachelmann auf den Gang und schaute in beide Richtungen, ob er den kleinen Mann entdecken konnte. Er war nicht zu sehen. Stachelmann überlegte, wie der Mann ihn überwachen sollte, wenn er ihn nicht im Auge hatte. Der muss immer nur an Bahnhöfen aus der Tür schauen, ob ich aussteige, ganz einfach. Er ging zurück ins Abteil und hob seine Reisetasche von der Gepäckablage, dann zog er seinen Mantel an. Die Frau saß auf ihrem Platz und schaute ihm zu.
»Steigen Sie auch in Hannover aus?«
»Vielleicht«, sagte Stachelmann.
Sie zog kurz die Augenbrauen hoch, dann wandte sie sich ab. Das Kind war eingeschlafen. Es kam die Durchsage, der Zug halte in Kürze in Hannover-Hauptbahnhof. Die Frau weckte das Mädchen, es machte ein weinerliches Gesicht. Die Mutter redete leise auf das Kind ein. Stachelmann steckte seinen Kopf in den Gang und nahm ihn gleich wieder zurück, um nicht von einem Mann gestoßen zu werden, der eilig einen schweren Koffer hinter sich her zog. Es wollten viele Leute aussteigen, sie stauten sich zurück bis zu Stachelmanns Abteil. Zwei alte Frauen starrten ins Abteil und unterhielten sich offenbar über die Mutter und ihre Tochter. Stachelmann hatte gehofft, er habe freie Sicht im Gang.
Als der Zug bremste, stand die Mutter auf. Sie öffnete die Abteiltür, die beiden Alten blieben stehen. Die Frau wartete, bis der Zug hielt und die beiden Alten sich zur Tür hinbewegt hatten. Nun ging sie am Ende der Schlange. Stachelmann trat hinter ihr in den Gang und blieb einen Augenblick stehen. Er schaute sich um, sah den kleinen Mann aber nicht. Dann ging er zur Tür. Die beiden Alten mühten sich mit ihrem Gepäck, ein Schaffner half, auch ihm waren die Koffer schwer. Dann endlich stiegen Mutter und Tochter aus, Stachelmann folgte ihnen. Die Menschen strömten zum Ausgang, Stachelmann blieb in der Nähe der Tür stehen, stellte die Reisetasche in den
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