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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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sein?
    Ich gehe zurück ins Schlafzimmer und schäme mich, dass ich herumgeschnüffelt habe. Meiner Frau war der Verkauf wichtig. Sie fand Holitzer gut. Sie dachte, die Aktion würde unser Leben verändern. Meine Frau hatte Freunde, mit denen sie sich im Indigo getroffen hat. Schwule Männer und Models lieben dieses Restaurant. Meine Frau bewahrte gern Dinge aus der Vergangenheit auf. Meine Frau hatte ein Leben außerhalb des Hauses. So einfach ist das.

7
    Heute ist der Termin mit dem Arzt, und ich werde nicht weglaufen. Ich sage den Krankenschwestern, dass ich hier bin.
    »Ein langsamer, gradueller Besserungsprozess.« Das wird er sagen, denke ich. »Wenn sie aufwacht, ist sie auf Sie angewiesen. Sie müssen ihr im Alltag bei den elementarsten Verrichtungen beistehen, bei Dingen, die man sonst als selbstverständlich hinnimmt. Ihre Frau wird Sie brauchen. Dringend.«
    Scottie und ich gehen den Gang hinunter. Auf ihrem T-Shirt steht MRS. CLOONEY, und sie trägt Clogs, die bei jedem Schritt ti-tap-ti-tap-ti-tap machen. Im Krankenhaus ist so ein Betrieb, dass man denken könnte, hier ist Sommerschlussverkauf. Scottie macht ein energisches Gesicht, sie bewegt die Lippen, und ich denke, sie übt, was sie Joanie erzählen möchte. Heute Morgen sagte sie zu mir, sie habe eine tolle Geschichte für Mom, und ich bin gespannt. Ich nehme an, ich muss auch mit Joanie sprechen. Schließlich muss ich ihr mitteilen, was ich von Dr. Johnston erfahren habe.
    Als wir ins Zimmer kommen, stellt sich heraus, dass wir Besuch haben. Eine Freundin von Joanie, die ich aber nicht richtig kenne. Sie war schon einmal hier. Tia oder Tara. Mir fällt ein, dass ich sie in einer Zeitungswerbung gesehen habe. Das muss kurz vor dem Unfall gewesen sein. In der Anzeige trank sie Tafelwasser und hatte eine Basttasche am Arm. Ums Handgelenk trug sie ein extrem teuer aussehendes Diamantenarmband. Ich las nicht, was der Text sagte, also wusste ich nicht, ob die Anzeige für das Armband, das Wasser oder die Handtasche warb - oder womöglich für etwas völlig anderes, zum Beispiel für Eigentumswohnungen oder eine Lebensversicherung. Die Frau war zusammen mit einem Mann abgebildet, und die beiden hatten drei Kinder bei sich, die auf irgendetwas am Himmel deuteten, Kinder aus drei verschiedenen ethnischen Gruppen. Ich weiß das deshalb noch so genau, weil ich zu Joanie sagte: »Sollen das etwa ihre Kinder sein? Sie sehen sich ja überhaupt nicht ähnlich.Wofür ist diese Anzeige überhaupt?«
    Joanie warf einen Blick in die Zeitung. »Für Hilo Hattie. Die nehmen für ihre Werbung gern Asiaten und Hapas und Filipinos.«
    »Aber die Eltern sind weiß. Das ist doch keine glaubwürdige Familie.«
    »Vielleicht sind die Kinder adoptiert.«
    »So was Albernes«, brummte ich. »Weshalb nehmen sie keine asiatische Mutter und einen Vater von den Philippinen?«
    »Die würden nie heiraten.«
    »Oder eine Hapa-Mom und einen asiatischen Daddy.«
    »Sie finden einfach weiße Models mit ethnischen Kids gut.«
    »Und was ist mit den Schwarzen? Ich meine - man kann doch auch ein schwarzes Kind nehmen.«
    »Die wenigen Schwarzen hier sind alle beim Militär. Sie gehören nicht zur Zielgruppe.«
    Ich legte die Zeitung verärgert weg, weil ich das ganze Gespräch blöd fand. »Wohin schauen die überhaupt alle so bekloppt?«
    »In ihre gloriose Zukunft«, antwortete Joanie trocken.
    Ich musste lachen, und sie fing auch an zu lachen, und als die Mädchen in die Küche kamen und wissen wollten, was so lustig sei, antworteten wir beide: »Gar nichts.«

    Die Frau aus der Zeitung sitzt nun bei Joanie auf der Bettkante, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Am liebsten würde ich wieder gehen. Ich bin hier im Allgemeinen nicht gern mit anderen Leuten zusammen, aber es ist zu spät. Sie sieht uns und lächelt, dann macht sie mit einer Fernbedienung ein Licht an.
    »Tag«, sage ich.
    »Hallo«, sagt sie.
    Ich sehe, dass sie Scottie mitleidig mustert. So ähnlich, wie ich Lani angeschaut habe. »Haben Sie etwas dagegen, wenn wir bleiben und zusehen?«
    »Nein, kein Problem. Ich brauche nicht lang.« Sie hat ein Tablett auf dem Schoß und nimmt mehrere identisch aussehende Pinsel prüfend in die Hand, ehe sie sich für einen entscheidet und anfängt, damit Joanies Gesicht um den Schlauch herum zu bearbeiten. Sie taucht den Pinsel in eine Palette mit Gloss und betupft damit die Lippen meiner Frau, als wäre sie eine Art französische Pointillistin. Mir kommt das absurd vor, aber ich

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