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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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Mutter würde die Aussicht gefallen«, sagt Tia oder Tara. »Es ist so schön draußen. Man sollte Licht hereinlassen.«
    Meine Tochter schaut zum Vorhang. Ihr kleiner Mund steht offen. Sie fasst sich in die zerzausten Haare.
    »Hören Sie zu, T., ihre Mutter kann die Aussicht nicht genießen. Ihre Mutter liegt im Koma. Und sie soll nicht im hellen Tageslicht liegen.«
    »Ich heiße nicht T.«, erwidert sie. »Ich heiße Allison.«
    »Okay, meinetwegen. Alli. Bringen Sie bitte meine Tochter nicht durcheinander.«
    »Aus mir wird mal eine bemerkenswerte junge Dame«, sagt Scottie.
    »Ganz genau!« Mein Herz poltert wie Scotties Clogs, wenn sie den Flur entlangtrappelt. Ich verstehe gar nicht, warum ich so wütend bin.
    »Entschuldigung«, murmelt Allison. »Ich dachte nur, wir könnten ein bisschen Licht brauchen.«
    »Nein, ich muss mich entschuldigen. Ich hätte nicht gleich losschimpfen sollen.«
    Sie wühlt in ihrer Tasche, holte ein rundes Döschen heraus und prüft Joanies Gesicht, als müsste sie es gleich operieren. Sie tupft etwas auf die Wange meiner Frau, runzelt die Stirn, verstaut das Döschen wieder in der Tasche und holt ein zweites, ähnliches heraus, wiederholt die Prozedur und lächelt zufrieden. Ich bemerke keinen Unterschied. Make-up gehört zu den großen Mysterien dieser Welt.
    »Möchtest du etwas sagen?«, frage ich Scottie und deute auf ihre Mutter.
    Scottie schaut Allison an. »Ich warte lieber noch.« Sie macht den Fernseher an, und ich habe ein schlechtes Gewissen. Mir fällt nichts mehr ein, wie ich sie bei Laune halten könnte. Normalerweise schaffe ich es, alles in ein Spiel umzufunktionieren. Einen Löffel, einen Zuckerbeutel, eine Münze. Es ist meine Aufgabe, Scottie abzulenken. Ich muss dafür sorgen, dass sie trotz allem leben kann wie eine Zehnjährige.
    Mir fällt ein, dass ich Bananen eingepackt habe, damit Scottie etwas Gesundes isst. Ich hole also eine Banane aus ihrem Roxy-Rucksack, und dabei muss ich an ein Spiel denken, das ich Joanie beigebracht habe, die ja auch ständig unterhalten werden musste. Das war vor den Kindern, wir aßen zu Abend, tranken Wein, und sie musterte mich mit einem Blick, der sagte: Schau dir doch nur unser langweiliges Leben an. Schau dir an, wie du meine magnetische Persönlichkeit zerquetscht hast. Ich war explosiv, einVulkan, jetzt bin ich vorhersagbar und wiege zwei Kilo mehr. Ich habe mich in eine Frau verwandelt, die samstagabends zu Hause herumsitzt, Bonbons lutscht und zuschaut, wie sich ihr Verlobter das Essen in den Mund schaufelt und einen Rülpser hinunterschluckt . So ein Blick.
    Sie war gerade bei mir eingezogen, in das Haus, in dem wir heute noch wohnen. Sie war zwanzig und lernte das Leben in Maunawili kennen - das große, wunderschöne Haus, das riesige, üppige Grundstück und die endlose Arbeit, die es mit sich bringt. Wir haben Brotfruchbäume, Bananen und Mangos, aber die Früchte verfaulen und locken die Fliegen an.Wir haben einen glitzernden Swimmingpool, doch am Ende des Tages schwimmen darin lauter Blätter. In der großen, kreisförmigen Zufahrt liegt auch immer jede Menge Laub, und sie hat Risse von den Wurzeln des großen Banyanbaums. Wir haben Teeblätter, die gelb werden und abgezupft werden müssen, wir haben Mondo-Gras und Südseegardenien, Pikake und überhaupt massenhaft Pflanzen, die gegossen werden müssen.Wir haben wunderschön weiche Holzfußböden, aber wir haben auch fliegende Kakerlaken, Rohrspinnen, Termiten und Tausendfüßler, die diese Holzfußböden genauso innig lieben wie die dunklen Balken.
    Ich sagte ihr, wir hätten einen Stallarbeiter und eine Putzfrau, die einmal in der Woche kämen, aber sonst müssten wir uns selbst um alles kümmern. Ich würde so viel tun, wie ich neben meinem Vollzeitjob noch unterbringen könne, aber das werde nicht reichen, warnte ich sie. Sie müsse ebenfalls mit anpacken. Das passte ihr nicht - deshalb musterte sie mich mit diesem Blick. Ich stand auf, nahm eine Banane und goss Joanie noch ein Glas Wein ein. Ich versuchte, mich ganz darauf zu konzentrieren und mich von ihrem vernichtenden Blick nicht allzu tief durchbohren zu lassen. Dann zerteilte ich die Banane in mehrere Stücke und legte eins davon auf eine Stoffserviette. Ich wollte das Bananenstück wie auf einem Trampolin hüpfen lassen und es dann an die Decke schleudern, sodass es kleben blieb. Meine Mutter und ich hatten dieses Spiel gelegentlich gespielt, wenn Mom ein paar Cocktails intus hatte und wir in der

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