Mit deinen Augen
Schlafen zu. Was ist passiert? Dieser Satz dreht sich endlos in meinem Kopf. Ich gehe aus dem Zimmer, ohne die Jalousien herunterzulassen. Morgen wird die Sonne über der Ko’olau-Bergkette aufgehen und ihr aufs Gesicht knallen.
14
Ich bemühe mich, Alex genug Zeit und Raum zu lassen, damit sie sich aus eigenem Antrieb für ihr Benehmen entschuldigen kann.Wir sind in der Küche, und sie trinkt eine Cola und isst irgendwelche Frühstücksflocken, die wie große Hasenköttel aussehen.
»Wie geht’s dir?«, frage ich sie.
Sie zuckt die Achseln, kaut und setzt dann die Schüssel an die Lippen.
»Erlaubt dir Mom, zum Frühstück Cola zu trinken?«
»Sie hat mich nie beim Frühstück gesehen.«
»Wo ist Scottie?«, möchte ich wissen.
Wieder zuckt sie die Achseln.
»Also, jedenfalls freue ich mich, dass du hier bist, Alex. Willkommen zu Hause.«
Sie fuchtelt mit ihrem Löffel in der Luft herum, dann steht sie auf und stellt ihre Schüssel in die Spüle.
»Räum sie bitte in die Spülmaschine«, sage ich.
Sie geht hinaus. Ich erhebe mich, um ihre Schüssel auszuspülen und in die Maschine zu stellen. Alex kommt zurück, unterhält sich mit jemandem auf dem Handy. Sie hat ihre Sonnenbrille dabei, ein Buch, ein Handtuch und eine frische Cola.
»Alex,« sage ich, »ich würde gern mit dir reden.«
»Ich gehe schwimmen«, sagt sie.
»Gut, dann gehe ich auch schwimmen.«
»Meinetwegen«, sagt sie.
Im Pool hüpft sie von einem Fuß auf den anderen. Sie legt den Kopf nach hinten und wringt sich dann die Haare aus. Ich springe hinein und versuche, einen großen Platscher zu produzieren, und als ich wieder auftauche, schaut Alex angewidert aufs Wasser. Das Wasser ist kalt, und Wolken verdecken die Sonne. Auf dem Weg zur anderen Poolseite schwimme ich durch die abgefallenen Blätter des Mangobaums und durch zimtfarbene Termitenleichen.
»Sid kommt gleich«, sagt sie.
»Wer ist Sid?«
»Mein Freund. Du wirst ihn kennenlernen. Ich hab ihn gerade angerufen, und er kommt hierher.«
»Was für ein Freund? Vom Internat?«
»Nein, von hier. Aus meiner Klasse in der Punahou School. Ich kenne ihn schon ewig.«
»Ach so«, sage ich. »Okay.«
»Er hat irgendwie Probleme.Wahrscheinlich übernachtet er auch hier, und überhaupt gehe ich mal davon aus, dass er die meiste Zeit bei mir ist, solange das hier alles so beschissen läuft.«
»Na gut«, sage ich. »Du hast ja offenbar schon alles durchgeplant. Wo wohnt er?«
»In Kailua«, sagt sie.
»Und kenne ich seine Eltern?«
»Nein.« Sie hält meinem Blick stand.
»Ich freue mich darauf, ihn kennenzulernen«, sage ich.
Wir hören, wie die Schiebetür zum Pool mit Schwung geöffnet wird. Scottie kommt auf die Steinterrasse gerannt, in einem schwarzen Negligé. Überall auf ihrem mageren Körper hat sie weiße Cremetupfer. Sie macht ein Foto von Alex.
»Was soll der Scheiß?«, zetert Alex. »Raus aus meiner Unterwäsche!«
»Schrei sie nicht so an«, sage ich.
»Sie hat meine Unterwäsche an!«
»Ja, und? Ist das so schlimm, wenn man bedenkt, was sonst noch alles los ist?« Ich schaue Scottie an. Ja, irgendwie ist es schlimm. Das Negligé schlabbert ihr um die Brust und zwischen den Beinen. »Scottie, geh rein und zieh dir einen richtigen Badeanzug an.«
»Wieso?«
»Mach schon, Scottie.«
Sie zeigt mir den Mittelfinger, so, wie ich es ihr beigebracht habe, und rennt ins Haus.
»Du machst das super«, bemerkt Alex trocken.
»Ich glaube, das Problem ist nicht, dass Scottie in deiner Unterwäsche rumrennt oder was für ein Vater ich bin - viel schlimmer ist, dass wir dich völlig zugedröhnt vom Internat abgeholt haben, wo du eigentlich zur Vernunft kommen solltest.«
»Ich hab doch nur was getrunken, Dad! Ich bin längst zur Vernunft gekommen , wie du so schön sagst. Ich mache meine Sache sehr gut, aber das merkt hier ja keiner. Niemand hat auch nur einen Pieps dazu gesagt, dass ich bessere Noten schreibe oder dass ich in diesem blöden Theaterstück mitgespielt habe - ihr habt es ja nicht mal für nötig befunden, zur Aufführung zu kommen. Also - dann habe ich mich ausgerechnet an dem Abend, an dem du vorbeikommst, zufällig volllaufen lassen - na und?«
»Immer mit der Ruhe«, sage ich. »Reiß dich zusammen und schimpf hier nicht rum.«
»Kapier doch endlich, Dad.«
»Was soll ich kapieren?«
»Ach, du hast keine Ahnung. Ich will zurück ins Internat.«
Sie legt den Kopf in den Nacken und schaut zum Himmel, sodass ihre langen braunen Haare ins
Weitere Kostenlose Bücher