Mit deinen Augen
überlegt, wer es wissen muss, und habe den Kreis auf die Familie und auf die Menschen eingegrenzt, die Joanie lieben und gut kennen.
Als ich gestern Abend die Liste mit den Namen durchgegangen bin, habe ich zur anderen Seite des Bettes geschaut, auf ihre beiden Kissen, eins über dem anderen, so wie sie es mag. Ich bin es nicht gewohnt, allein zu schlafen, und obwohl ich jetzt viel Platz habe, bleibe ich auf meiner Seite und rutsche nie auf ihre hinüber. Hier haben wir abends ferngesehen und uns über den Tag unterhalten, und das waren die Momente, in denen uns bewusst wurde, wie gut wir einander kennen und dass wir sonst niemanden brauchten, weil uns keiner verstehen würde. »Was wäre, wenn jemand unsere Unterhaltung aufzeichnen würde?« Joanie musste lachen. »Die dächten, wir sind plemplem.«
Aber ich musste auch an die vielen Nächte denken, in denen sie mit ihren Freundinnen unterwegs war. Meistens taumelte sie dann herein und roch nach Tequila oder Wein. Sie kam sehr spät nach Hause, und manchmal war sie nicht betrunken. Dann schlich sie sich leise und katzenhaft ins Bett, ihr Gardenien-Parfüm auf der Haut. Ich frage mich, ob ein Teil von mir es gut fand, dass sie so viel unterwegs war, weil ich mich dadurch besser auf meine Arbeit konzentrieren und so meinen eigenen Nachlass schaffen konnte, statt nur von der Hinterlassenschaft derer zu profitieren, die vor mir gelebt haben. Ja, das stimmt. Einem Teil von mir muss es gefallen haben, dass sie mich in Ruhe ließ.
Alex ist bleich und außer Atem. Sie sieht mich mit schmerzerfüllten Augen an, als würde sie mich flehentlich um etwas bitten. Ich kann dir nicht helfen , möchte ich sagen. Ich habe keine Ahnung, wie ich dir helfen könnte.
»Halt dich fest«, sage ich.
Sie zögert, aber dann hält sie sich an meinen Schultern fest, wie früher. Ich schwimme zum flachen Ende des Pools, mit Alex im Schlepptau. Dort halten wir uns am Rand fest, und ich lege ihr die Hand auf den Rücken. Die Sonne kommt heraus, verschwindet aber gleich wieder. Das Wasser im Pool ist dunkel, wie das Wasser der Tiefsee.
»Komm, wir gehen alle miteinander zu Racer. Er wohnt ja gleich um die Ecke. Danach fahren wir zu deinen Großeltern und anschließend ins Krankenhaus. Das passt.«
»Ich weiß nicht, was das soll«, sagt Alex. »Ruf sie doch an oder irgendwas. Ich habe keine Lust, mit allen über Mom zu quatschen. Das ist doch bescheuert.«
»Alex - egal, worum es bei eurem Streit an Weihnachten ging -, du musst es vergessen. Es ist nicht mehr wichtig. Du liebst deine Mutter. Deine Mutter liebt dich. Lass los.«
»Ich kann nicht loslassen«, sagt sie.
»Warum nicht? Was kann so schlimm sein?«
»Du«, sagt sie. »Es geht um dich.«
Die Sonne kommt wieder heraus. Ich spüre die sanfte Wärme auf den Schultern. »Ihr habt euch meinetwegen gestritten?«
»Nein«, sagt Alex. »Ich war sauer auf sie wegen etwas, was sie dir antut. Und du hängst immer noch so an ihr.« Sie schaut mich an, dann wendet sie sich ab und blickt aufs Wasser. »Sie hat dich betrogen, Dad.«
Ich betrachte ihr Gesicht. Es ist ruhig und reglos, bis auf die Nase, die wütend zuckt. Dann höre ich ein Geräusch, als würde jemand auf einer Schreibmaschine in rasantem Tempo immer dieselbe Taste drücken. Ich blicke nach oben und sehe einen Hubschrauber über Olomana aufsteigen. Er schwebt vor dem Hang unterhalb des Gipfels.
Eigentlich sollte ich jetzt etwas empfinden - einen kalten Schauder oder glühende Hitze oder Eiswasser in den Adern. Aber ich denke nur, dass ich gerade etwas erfahren habe, was ich längst weiß. Die Panik war schon vorher in mir. Ich denke an das blaue Kärtchen und seufze laut.
»Hat sie es dir erzählt?«, frage ich. »Hast du sie erwischt?«
»Nein. Das heißt - irgendwie schon. Ja, ich hab sie erwischt.«
»Erzähl’s mir«, sage ich. »Erzähl mir alles. Das ist ja fantastisch.«
Ich stemme mich aus dem Wasser und setze mich auf den Beckenrand. Sie tut es mir nach, und wir lassen die Beine ins Wasser hängen.
»Ich war an Weihnachten zu Hause, wie du ja weißt«, beginnt sie. »Und als ich zu Brandy gefahren bin, habe ich sie mit ihm gesehen.«
»Wohin bist du gefahren? Wo warst du?«
»In der Kahala Avenue. Unterwegs zu Brandy.«
»Und dann? Du hast sie mit einem anderen Mann gesehen und dir gedacht, zwischen den beiden ist etwas?«
»Nein, ich war gerade in der Black Point Road, und da habe ich sie in der Zufahrt zu einem Haus gesehen. Zu seinem Haus.«
»Er
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