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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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wusste, Sie müssen sich schon mal begegnet sein. Er ist so damit beschäftigt.«
    »Ja«, sage ich, »sehr beschäftigt. Ich weiß auch nicht, was ich gedacht habe. Offenbar war ich in Gedanken ganz woanders.«
    »Eine Weile haben wir ihn kaum gesehen. Aber ich glaube, so langsam wird es besser. Hätten Sie gern einen Hamburger?«
    »Vielen Dank, aber wir waren gerade essen«, sage ich.
    »Stimmt. Das haben Sie ja schon erwähnt.«
    Ich lehne mich an das Verandageländer, und Alex steht am Stufenrand, sodass ihre Absätze nach unten kippen. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und lässt sich wieder zurückfallen.
    »Machst du Gymnastik?«, frage ich sie.
    »Nein«, sagt sie. »Entschuldigung.« Sie setzt sich in einen Verandasessel. Julie hält einen Spachtel in der Hand, den sie dann ablegt und auf dem Geländer balanciert. Ich höre den Ozean und die Rufe der Kinder.
    »Also, morgen ist es so weit?«, sagt Julie. »Morgen wissen Sie es.« Sie senkt den Blick. »Entschuldigen Sie. Das hätte ich nicht sagen dürfen. Es gibt da ja einen Interessenkonflikt. Wie dumm von mir.«
    »Ist schon okay«, sage ich.
    Sie lacht, lehnt sich ans Geländer, legt die Hände auf die Oberschenkel und beugt die Finger, um ihre Nägel zu begutachten. Sie trägt Jeans und ein weißes T-Shirt. Ihre Haare sind nass und auf dem Kopf zu einem Knoten zusammengezurrt.
    »Morgen ist es vorbei«, sage ich.
    »Ja«, sagt sie, »Gott sei Dank.«
    Wir schweigen beide, wie gelähmt. Die Wellen brechen sich am Ufer, gefolgt von einem Sauggeräusch. Ich sehe die Kinder und das rötliche Glimmen von Sids Zigarette, das gleich wieder verglüht.
    »Möchten Sie etwas trinken?«, fragt Julie.
    »Ja, gern«, antworten Alex und ich wie aus einem Mund.
    Julie stößt sich vom Geländer ab, der Spachtel fällt hinunter. Ich will ihn holen, aber sie bedeutet mir mit einem Winken, das sei nicht nötig, und geht selbst die Verandastufen hinunter. Ich höre, wie sich die Gittertür öffnet, und sehe Brians Silhouette. Er kommt heraus und mustert meine Tochter und mich.
    »Hi«, sagt er und streckt mir die Hand hin. »Ich bin Brian.«
    Seine Frau kommt die Stufen wieder herauf, und an ihren weißen Tennisschuhen kleben nasse Grashalme.
    »Brian.« Ich drücke ihm kräftig die Hand, und als ich sie wieder loslasse, schüttelt er sie aus. »Wir sind uns schon mal begegnet«, sage ich mit einem Blick auf Julie. »Matt King. Meine Frau heißt Joanie. Ich glaube, ich habe Sie bei einer Aktionärsversammlung getroffen. Das hier ist unsere Tochter Alex.«
    Sein Grinsen verschwindet. Er wirft einen kurzen Blick auf Alex. Und noch einen.Vielleicht bemerkt er die Ähnlichkeit mit seiner Geliebten.
    »Ich habe dir von Matt erzählt. Er hat Christopher gerettet.«
    Brian starrt mich an.
    »Ich wollte uns gerade etwas zu trinken holen«, sagt Julie. »Und das hier muss ich kurz abspülen.« Sie hält den Metallspachtel hoch. Ich sehe Rost an der Unterseite.
    »Sehr gut«, sagt Brian. Er tätschelt Julies Schulter. »Mach mal.« Er hält ihr die Tür auf. Man merkt, dass er das sonst nie macht, weil sie erst gar nicht kapiert, was diese Geste bedeuten soll.
    »Kann ich etwas helfen?«, fragt Alex.
    Die Fliegengittertür schließt sich schon hinter Julie. »Nein, nein!«, ruft sie.
    Sobald sie außer Hörweite ist, sage ich: »Sie liegt im Sterben. Ich dachte, ich gebe Ihnen die Möglichkeit, sich von ihr zu verabschieden.«
    Er erstarrt. Die Brötchentüte in seiner Hand wirkt lächerlich.
    »Ich bin nur gekommen, um Ihnen das zu sagen. Aus keinem anderen Grund.«
    »Mein Dad will Ihrer Familie nichts tun«, ergänzt Alex. »Wir machen nur, was meine Mom unserer Meinung nach gewollt hätte. Und sie wollte Sie - offensichtlich.« Sie blickt ihm ins Gesicht, dann auf die Tüte in seiner Hand. »Weiß der Himmel, wieso«, fügt sie noch hinzu und wendet sich dann an mich. »Warum wollte sie ihn?«
    »Das reicht, Alex.« Aber dann sage ich doch: »Keine Ahnung, warum.«
    »Ich kann nicht«, sagt Brian mit Blick zur Tür. »Tut mir leid - ich habe nicht gedacht, dass es so weit kommen würde.«
    »Es tut Ihnen leid!«, sagt Alex. »Das ist ja super.Tut es Ihnen leid, dass meine Mom bald stirbt, oder tut es Ihnen leid, dass Sie mit meiner Mom geschlafen haben? Oder dass Sie meinen Dad betrogen haben?«
    »Nein«, sagt er. Er starrt auf den Boden. »Das heißt, ja. Alles tut mir leid.«
    »Um Viertel nach neun geht ein Flug«, sage ich. »Ihnen fällt sicher eine gute Ausrede ein,

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