Mit dem Teufel im Bunde
hoffte, nie eine der behäbigen, allzu sehr auf ihre Würde bedachten Matronen zu werden, als die sich viele Frauen zeigten, die sie als übermütiges Mädchen gekannt hatte. Oder wie Barbara Meinert. Ihr Mann hatte launig erzählt, was für ein wildes Kind sie gewesen sei. Kaum habe ihre Mutter einmal weggesehen, sei ihr kein Baum zu hoch gewesen, um mit ihrem Bruder um die Wette zu klettern. Das war schwer vorstellbar. Nun, kaum über zwanzig Jahre alt, eiferte sie streng den Gattinnen im gesetzten Alter nach. Vielleicht, dachte Rosina generös, bekämpfte sie auf diese Weise nur ihre Sehnsucht, wieder auf Bäume zu klettern.
«Danke, Monsieur Herrmanns, es geht mir tatsächlich ausnehmend gut. Ich habe keine Sorgen, dank Elsbeth eine fabelhafte Mamsell, und, ja, das auch, gestern ist Magnus zurückgekommen.»
Herrmanns nickte. «Das erklärt Eure rosigen Wangen und strahlenden Augen. Ich habe schon davon gehört, er war gleich nach seiner Ankunft im Rathaus.»
Rosinas Grübchen verschwanden. Dann musste er dort gewesen sein, bevor er in die Mattentwiete zurückkehrte, dann war er doch nicht zuerst zu ihr gekommen. Es gab vieles, an das sie sich gewöhnen musste, ohne es als Kränkung zu verstehen.
«Ihr sagtet ‹wir›?» Ihr Blick glitt suchend durch die Menge, doch es war nicht Annes hochgewachsene gertenschlanke Gestalt, die sie entdeckte. Wagner schob sich mit rotem Kopf und grimmigem Gesicht durch das Gewimmel. Anders als dem vornehm gekleideten, sechs Fuß großen Kaufmann machte niemand dem kurzbeinigen dicken Weddemeister in seinem abgeschabten Rock bereitwillig Platz. Er musste sich ohnedies stets bemühen, mit Claes Herrmanns Schritt zu halten.
«Wo bleibt Ihr denn, Wagner? Gerade hattet Ihr es doch noch so eilig.» Als einem freundlichen und mit seinem Leben zufriedenen Menschen fehlte Claes Herrmanns die Arroganz vieler seiner Standesgenossen gegenüber solchen mit geringerem Besitz und weniger Bildung, er übersah nur, dass ein Mann wie Wagner mit anderen Widerständen zu kämpfen hatte als er. «Nun seid Ihr ja da. Seht, wen wir getroffen haben. Wenn das keine glückliche Fügung ist.» Bevor Wagner auch nur eine Begrüßung murmeln konnte, fuhr er schon fort: «Ich hoffe, Ihr habt ein Stündchen Muße, Rosina, denn Ihr müsst uns begleiten. Worum es geht, könnt Ihr Euch denken, und wie ich weiß», er zwinkerte ihr aufeine vertrauliche Weise zu, die die Damen Meinert und Stollberg als höchst umpassend empfunden hätten, «seid Ihr wieder mit von der Partie. Wagner hat Fragen, bevor er Euch später über die Antworten unterrichten muss, hört Ihr besser gleich selbst zu. Was haltet Ihr von einer Tasse Kardamomkaffee? Oder lieber Schokolade? Jensen macht nach Augustas untrüglichem Urteil die beste.»
Nicht nur Wagner, auch Claes Herrmanns schien es heute eilig zu haben, was allerdings wenig verwundern konnte, bald begann die Börsenzeit.
Er reichte ihr den Arm und lotste sie über den Platz zur Tür von
Jensens Kaffeehaus
, Wagner blieb nur, ihnen zu folgen. Diesmal hielt er sich so nah hinter dem Großkaufmann, dass er keine Mühe hatte, mit durch die schmale Gasse zu schlüpfen, die sich im Gedränge für das energisch voranschreitende Paar öffnete. Er hasste Besuche bei Jensen und ähnlich vornehmen Etablissements. Leider war es unmöglich, Monsieur Herrmanns stattdessen eine der Schänken vorzuschlagen, die er gewöhnt war und in denen er sich wohlfühlte. Trotzdem blickte er nun nicht mehr ganz so grimmig. Rosinas Begleitung machte ihm den Besuch des unangenehmen Ortes leichter.
Nach der Börsenzeit, die von zwölf bis zwei Uhr in der wenige Schritte entfernten offenen Börsenhalle stattfand, war das Kaffeehaus bis auf den letzten Stuhl besetzt, selbst zwischen den Tischen und im hinteren Zimmer beim Billard drängten sich dann die Männer. So war es Tradition, und was nach reinem leichtfertigem Vergnügen aussah, war zugleich eine Fortsetzung der Geschäfte, eine Zusammenkunft, die ebenso wenig versäumt wurde wie der Gang zur Börse.
Jetzt am Vormittag waren nur wenige Tische besetzt, augenscheinlich von Privatiers und wohlhabenden Reisenden,die hier auch Korrespondenz erledigen und die bedeutenden unter den europäischen Zeitungen lesen konnten. Es roch nach Tabakrauch und frischgerösteten Kaffeebohnen, vermischt mit einem süßlichen Duft von Rosenwasser, das ein Herr mit blonder Perücke in einem mauvefarbenen, silberbestickten Rock verströmte, der an einem Tisch nahe der
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