Mit dem Teufel im Bunde
oder mattgolden, sie fühlte nicht die Spur von Wehmut. Ihr Herz war leicht, ihr Kopf voll übermütiger Melodien, die ganze Welt eine glückliche Verheißung. Zweifel, Fremdheit, Sehnsucht nach dem freien Leben auf der Wanderschaft? Das war gestern gewesen. Nur eines bedauerte sie: Der Tag war nicht kalt genug, Magnus’ Geschenk auszuführen, den breiten Schal, der Hals und Schultern zärtlich umschmeichelte.
Sie war auf dem Weg zu dem Handschuhmacher in der Steinstraße, ein so prächtiger Schal erforderte angemessene Gesellschaft. Sie würde die Handschuhe von ihrem eigenen Geld bezahlen. Nicht von dem Geld für die Belange des Haushaltes, sondern vom Rest dessen, was sie nach dem Tod ihres Vaters geerbt hatte. Viel war nicht mehr übrig. Ein großer Teil war als Investition in ihre Zukunft in die Gründung und Ausstattung einer Fabrik geflossen, in der aus Rüben Zucker gemacht werden sollte. Ein vielversprechendes Unternehmen, obwohl es allgemein als lächerlicher Versuch angesehen wurde. Zucker aus Rüben – das war zu kurios. Sie glaubte immer noch daran. Leider war die Fabrik explodiert, bevor der Beweis erbracht und Zucker billig genug gemacht werden konnte, um für nahezu jedes Haus erschwinglich zu sein. Einen großen Betrag hatte auch die Reise der Becker’schen Gesellschaft nach London verschlungen, das als Hauptstadt der neuen natürlichen Schauspielkunst ein lange ersehntes Ziel gewesen war. Komödiantenwie die Becker’schen konnten sich die Überfahrt und den langen Aufenthalt sonst keinesfalls leisten. Dieses Unternehmen hatte sich als überaus lohnend erwiesen. Natürlich besonders die grandiosen Shakespeare-Aufführungen des
Drury Lane Theater
in Covent Garden, aber das ganze brodelnde Leben in der riesigen Stadt, die so aufregend anders war als alle, die sie bis dahin gesehen hatte, war es wert gewesen. Und dort hatte sie auch Magnus getroffen.
Seit sie ihr Elternhaus verlassen und bei den Komödianten Unterschlupf gefunden hatte, hatte sie immer eigenen Lohn gehabt. Zumeist bitter wenig, doch es war selbstverdientes Geld gewesen, nicht erbetenes oder gewährtes. Für Magnus und nahezu den ganzen Rest der bürgerlichen Gesellschaft war es selbstverständlich, wenn eine Ehefrau von dem lebte, was ihrem Mann gehörte. Das Eigentum einer Frau ging mit der Heirat in das Eigentum des Gatten über. So war es immer gewesen, so würde es bleiben. Für Rosina bedeutete das ein Korsett für ihre Freiheit. Und für ihren Stolz. Sie musste sich unbedingt etwas einfallen lassen, um wieder eigenes Geld zu verdienen, nicht wie eine Handelsfrau, doch genug, um nicht über jeden Pfennig Rechenschaft ablegen zu müssen. Magnus würde das kaum verlangen, es sei denn, sie gebärdete sich plötzlich über ihre Verhältnisse verschwenderisch. Sie würde es selbst von sich verlangen, und das versprach wenig vergnüglich zu werden.
Was konnte sie tun? Was
konnte
sie? Singen, tanzen, schauspielern. Englisch, Französisch, halbwegs Latein. Wer sollte das gerade von ihr lernen wollen? Gute Manieren? Die Grübchen in ihren Wangen vertieften sich. Es musste eine ganze Reihe von einfachen Leuten geben, die durch Heirat oder erfolgreiche Geschäfte plötzlich mit Menschen Umgang hatten, deren gesellschaftliche Spielregelnihnen fremd waren, die – wenn sie dazugehören und anerkannt sein wollten – sehr schnell lernen mussten, wie man Messer und Gabel manierlich führte, wie man einer Dame von Adel, einem Herrn vom Rat oder der Köchin gegenüber den richtigen Ton fand, wann ein Knicks oder Diener zu tief, zu wenig tief oder überhaupt nicht angebracht waren. Menschen, die solchen Unterricht heimlich nehmen und sie durch die Hintertür einlassen würden. Diskret, äußerst diskret. Genau so, wie es auch für sie sein musste.
«Madam Rosina!» Claes Herrmanns überquerte, seinen Dreispitz über den Köpfen der Menge schwenkend, mit großen Schritten den Platz vor der Börse. «Madam Rosina», begrüßte er sie ein wenig atemlos, «wie gut, dass wir Euch treffen. Ich muss nicht fragen, ob es Euch gut geht, Ihr seht blendend aus, wie eine frischerblühte Rose. Wenn Ihr mir eine kleine Schmeichelei von reiner Wahrheit erlaubt.»
Anders als die meisten hatte er sich sofort an ihren neuen Stand gewöhnt, mit ‹Madam Vinstedt› hatte er es allerdings gar nicht erst versucht. Das gefiel ihr, denn sie blieb bei aller Veränderung doch immer Rosina, auch ohne das leichte Mademoiselle. Das hoffte sie jedenfalls. So, wie sie
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