Mit den Augen der Fremden
Und wieder – der Schlag kommt aus der Hüfte – so! Und wieder …!“
Als er Jason sah, verstummte er und kam auf den Eingang zu. Er bewegte sich mit dem schnellen, an ein Metronom erinnernden Gang eines ausgebildeten Fechters – seine Schritte waren so gleichmäßig wie das Ticken einer erstklassigen Uhr.
„Ehrenwerter?“ sagte er und blickte auf Jason hinab. „Ich bin Schwertmeister Brodth.“
„Ich möchte hier Schüler werden und die Kunst des Schwertkampfes studieren“, sagte Jason.
„Eine Ehre …“ Brodth neigte seinen schon etwas angegrauten Kopf. „Zweifellos weißt du, daß meine Gebühren etwas höher sind als die üblichen?“
„Ja“, sagte Jason. „Ich weiß. Es macht mir nichts aus, den dreifachen Preis zu bezahlen, wenn ich unter einem Meister studieren kann.“
„Danke“, sagte Brodth und neigte den Kopf, ohne daß sein Gesichtsausdruck sich dabei veränderte. Dann lehnte er sich etwas zur Seite und deutete auf die Fechterpaare. „Meine drei Gehilfen sind im Augenblick beschäftigt, du kannst dir also aussuchen, mit wem du arbeiten willst. Alle drei haben Termine frei. Wenn ich einen Vorschlag machen darf … wie vertraut bist du mit der Duellwaffe?“
„Ich habe zwei Perioden regelmäßig damit gearbeitet“, sagte Jason. „Natürlich … allein … und mit anderen in meiner Familie.“
„Aha. Nun, dann würde ich Lyth Vettersvetter vorschlagen. Der ist vielleicht für den Anfang etwas zu stark für dich – er ist mein bester Gehilfe –, aber wenn du willst …“
„Ich wollte mit dir arbeiten“, sagte Jason.
„Aber du arbeitest mit mir …“ Brodth hielt inne. Die Haut um seine Nase spannte sich, und seine Augen verengten sich. „Ehrenwerter“, sagte er trocken, „ich stehe nicht zur Verfügung. Wenn du direkt mit einem Schwertmeister arbeiten willst, gibt es andere Fechtschulen …“
„Ehrenwerter“, sagte Jason. „Als Mann von Ehre liegt mir nichts ferner, als Euch in irgendeiner Weise beleidigen zu wollen. Meine Lage ist ungewöhnlich und ernst. Binnen weniger Tage werde ich einen Mann vom Geschick und den Fähigkeiten eines durchschnittlichen Schwertmeisters schlagen müssen.“
Brodth sah ihn an.
„Und wer …“ erkundigte er sich, immer noch mit trockener, ausdrucksloser Stimme, „wer ist dieser Mann?“
„Ich weiß es noch nicht“, sagte Jason. „Aber wahrscheinlich wird es ein Meister eines der Familienoberhäupter sein.“
Brodth starrte ihn eine volle Sekunde lang an. Dann lockerte sich die Spannung in seinem Gesicht, und seine Augen blickten ihn mit so etwas wie Humor an.
„Wenigstens“, meinte er, „bist du nicht irgendein junger Tunichtgut, der sich einbildet, er könnte sich das Recht kaufen, damit zu prahlen, Brodth Jüngerbruder sei sein persönlicher Fechtmeister.“
„Ehrenwerter“, sagte Jason bescheiden, „es wird mir ein Vergnügen sein, es sogar geheimzuhalten, wenn Ihr dies wünscht.“
Brodth lachte. Jason sah, daß er wie die meisten Schwertmeister schon vor langer Zeit aufgehört hatte, in Fragen seiner persönlichen Ehre empfindlich zu sein – die ja ohnehin kein gewöhnlicher Laie herausfordern würde. Jasons Hoffnung stieg. Er hatte sich viel erhofft, aber daß Brodth Sinn für Humor haben würde, überstieg seine kühnsten Erwartungen.
„Nun schön“, sagte der Schwertmeister. „Komm her.“ Er führte Jason an ein Regal mit den langen, doppelklingigen Duellrapieren mit ihren Korbgriffen – Waffen, die bis auf Schneide und Spitze mit den echten Waffen, die in Ehrensachen benutzt wurden, völlig identisch waren. „Wähle eine“, sagte er zu Jason, „und dann zeig mir die ersten sechsundzwanzig Schläge der Grundübung. Ich werde dir zusehen und daraus alles, was ich wissen muß, entnehmen können.“
Jason spürte, wie der Pelz unter seinem Kinn feucht von Schweiß wurde, während er das Schwertregal ansah. Waffen jeder nur denkbaren Länge und jedes zulässigen Gewichts standen hier zur Verfügung. Als Schwertmeister und insbesondere als der Mann, der in den interplanetarischen Meisterschaften der besten Fechter der ganzen Rumlrasse den Titel davongetragen hatte, hätte Brodth ohne zu zögern die schwerste und längste Waffe für sich ausgewählt. Aber Jason, erst seit zwei Perioden erwachsen, hatte noch kaum die Durchschnittsgröße eines Ruml erreicht.
Schließlich wählte er ein Schwert, das er sogar für etwas leichter und kürzer hielt als das, mit dem er im Brutogasischloß geübt hatte.
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