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Mit den Augen der Fremden

Mit den Augen der Fremden

Titel: Mit den Augen der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon R. Dickson
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Er wog es in der Hand, die Spitze nach oben, und schlug dann ein paarmal damit zu, um ein Gefühl für die Elastizität der langen Zwillingsklingen zu bekommen. Dann stampfte er einmal auf den Boden, um sich an den Rhythmus zu gewöhnen, und fing dann an, die Routineschläge der Grundausbildung durchzuführen.
    Er griff in fünf Bewegungen an, wich vier Tempi zurück, griff sechs an, wich zwei zurück, griff zwei an, ging zwei zurück, griff vier an … und plötzlich überkam ihn tiefe Scham. Sein fünfter Angriff, der abschließende Ausfall, ließ ihn stolpern und beinahe das Gleichgewicht verlieren.
    Er riß sich zusammen. Sein Nackenpelz war feucht vom Schweiß des Selbsthasses und des Elends. Er legte das Schwert auf das Regal zurück und drehte sich um. Jetzt würde Brodth ihn eisig auffordern, den Fechtsaal zu verlassen.
    Aber das geschah nicht. Brodth sah ihn eigenartig an. „Ich weiß nicht, was …“ begann Jason zu stammeln, aber Brodth schnitt ihm mit einer gleichgültigen Handbewegung das Wort ab.
    „Dieser Fehler?“ sagte der Schwertmeister. „Nichts. Du hast dich plötzlich daran erinnert, daß ich zusehe. In einem echten Duell wäre das nicht passiert. Nein …“ – er sah Jason an und rieb sich das Kinn – „… du bist nicht schlecht. Du hast kein zu schweres Schwert gewählt, um damit vor mir zu prahlen. Deine Reflexe sind wirklich ausgezeichnet. Und als du jetzt den Fehler machtest, hast du gar nicht erst versucht, ihn auf eine fremde Waffe oder den zu glatten Boden zu schieben.“
    Er verstummte, rieb sich wieder das Kinn und betrachtete Jason interessiert.
    „Dann …?“ fragte Jason. „Ihr meint, es wäre möglich? Ich könnte ausgebildet werden und gewinnen?“
    Brodth nahm die Hand vom Kinn. „Gegen den Meister eines Familienoberhauptes?“ fragte er. „Nicht in tausend Jahren. Wie gesagt, deine Reflexe sind ausgezeichnet. Wenn das alles wäre …“ Er zuckte die Achseln. „Aber du bist zu klein, mein junger Freund.“ Er sah Jason beinahe mitfühlend an. „Ein Familienmeister hat allein schon eine Reichweite, die eine halbe Armeslänge größer ist als die deine. Darüber hinaus ist er um ein Drittel schwerer – ganz zu schweigen von seiner Erfahrung und von seinen Reflexen, die mindestens ebenso schnell sind wie die deinen.“
    Er schüttelte den Kopf.
    „Nein“, sagte er, „glaube mir – ich nehme nicht einmal Geld für diesen Rat. Fordere diesen Mann nicht heraus.“
    „Ich fürchte …“, sagte Jason, „ich habe keine Wahl.“
    „Keine Wahl?“ Brodth starrte ihn an. „Was soll das heißen. Er kann doch unmöglich dich herausgefordert haben – das wäre nicht möglich. Und er kann dich auch nicht dazu zwingen, ihn herauszufordern. Schau“, sagte er dann, „wenn jemand seine Position oder seine Fechtkunst als Meister eines Familienoberhaupts ausgenützt hat und dich …“
    „Nein. So ist es nicht“, sagte Jason. „Wie gesagt, ich weiß nicht einmal, wen ich herausfordern muß. Aber es wird nicht lange dauern, dann muß ich es tun.“ Er zögerte.
    „Ehrenwerter, ich wiederhole, mir liegt nichts ferner, als Euch beleidigen zu wollen, aber wenn Ihr mir auch nur ein klein wenig helfen könntet, selbst in dem Wissen, daß es hoffnungslos ist …“ Er zog die Werteliste aus der Tasche seines Harnischs und reichte sie dem Schwertmeister.
    „Ich habe ein ausreichend großes Konto, und selbst wenn einer Eurer Gehilfen mir helfen …“
    „Bei meinem Schwert und bei meiner Ehre!“ platzte Brodth heraus und starrte die Liste an. „Du hast das Guthaben deiner Familie verpfändet? Um Fechtstunden zu bezahlen?“
    Jasons Nacken zitterte. Unter Aufbietung größter Willenskraft hinderte er sich daran, dem Schwertmeister die Liste wieder wegzureißen. Er hatte lediglich vorgehabt, dem Mann die Summe zu zeigen. Die Verlegenheit, die er empfand, ließ seine Augen brennen.
    Der Fechtsaal, der ihn umgab, schien zu schwanken. Er sah nach rechts und links und rechnete damit, daß die Helfer und Schüler alle ihr Fechten eingestellt hätten und ihn anstarrten. Aber dann sah er plötzlich, daß außer ihm und Brodth der Saal leer war. Die anderen hatten ihre Übungen abgeschlossen und den Saal verlassen.
    „Ich plane …“ Jasons Stimme klang heiser. „Ich plane eine große Anstrengung …“
    „Aber du junger Narr!“ Das war recht typisch für Fechtmeister, daß sie keinerlei Rücksicht auf die Empfindlichkeit anderer Leute nahmen. „Ist dir denn nicht klar, daß

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