Mit den Augen eines Kindes
mehr als gut gemacht hatte. Sie stand immer noch oder wieder am Fenster, war nur kurz im Bad gewesen, um ein Handtuch zu holen. Das hatte sie um ihre Hüften geschlungen. Sie drehte sich nicht um, sagte auch nichts. Das Letzte, was ich von ihr sah, waren ihr makelloser Rücken, die perfekten Schultern unter dem weißblonden Haar, ihre Hände auf der Fensterbank und ihre schlanken Beine unter dem Handtuch.
Ich fuhr zurück zur Dienststelle, so schnell der Verkehr es zuließ. Es war acht Uhr vorbei. Schmitz war noch nicht aus Düsseldorf zurück. Rudolf saß an seinem Platz, wartete auf mich und ein Dutzend anderer, auf Berichte, Ergebnisse, auf alles und nichts. Er hörte mir schweigend zu, gab keinen Kommentar zu Marens Verhalten und ihren Äußerungen ab. Erst als ich zum Ende kam, murmelte er: «Ich hätte ihm mehr Verstand zugetraut.»
Gemeint war Alex Godberg, und Selbstbeherrschung wäre treffender gewesen, fand ich.
«Hat Jochen von ihm noch etwas von Bedeutung erfahren?», fragte ich. «Oder hat sich sonst etwas getan?»
Rudolf seufzte. «Eine ganze Menge, aber nichts, was ich gerne gehört hätte. Jetzt können wir im Prinzip nur hoffen, dass die Kerle mit Frau Godberg in Hamburg sind. Die Koska hat da oben um die dreißig Objekte im Angebot. Von der Nobelvilla bis zur Hundehütte ist alles vertreten. Die Kollegen sind schon dabei, sich vorsichtig umzuschauen.»
«Die sind nicht in einem Haus», sagte ich. «Zumindest Rex fährt in der Gegend herum.» Dieser Satz war so beiläufig eingeflossen, dass ich meinte, der Hinweis sei Maren ohne Hintergedanken herausgerutscht.
Rudolf winkte ab. «Ich gebe was auf das, was die sagt. Die hat doch keine Ahnung, auf wen sie sich eingelassen hat. Wir reden morgen früh über alles. Ich muss das erst mal mit Schmitz durchkauen. Fahr nach Hause, ich mach auch Feierabend, wenn Schmitz zurückkommt. Er übernimmt die Nachtschicht.»
Hanne saß mit Olli auf der Couch, las ihm etwas vor und brach ab, als ich hereinkam. Wieder dieser Blick. Wie sieht’s aus? Ich konnte ihr nicht ins Gesicht schauen, schüttelte nur den Kopf, um ihr zu bedeuten, dass wir noch keinen Schritt weiter waren. Olli trug bereits seinen Schlafanzug, hatte auch schon die Zähne geputzt, nur noch auf mich gewartet.
«Sag Papa gute Nacht», verlangte Hanne.
«Kann Papa mich nicht ins Bett bringen?», fragte er. «Papa ist müde», behauptete Hanne.
Das war ich auch, müde auf eine Art, die ich noch gar nicht kannte. Hanne blieb ein paar Minuten im Kinderzimmer, zurück kam sie nicht mehr, ging gleich ins Bad und dann ins Bett. Wenigstens legte sie sich nicht wieder auf die Couch.
Samstag, 7. Juni
Um sechs Uhr klingelte mein Wecker. Hanne kümmerte sich nicht darum. Ich verzichtete darauf, mir einen Kaffee zu machen, ging nur unter die Dusche, dann zum Auto und um sieben in die erste Besprechung. Volle Besetzung, niemand dachte an Wochenende und Freizeit. Der Besprechungsraum füllte sich mit Zigarettenrauch, Kaffeedunst und Nervosität. Ich spürte förmlich das Prickeln zwischen den Schulterblättern der anderen.
Die Stimmung war sehr gedrückt. Sie wussten nun, wer der Doktor war. Interpol hatte ein Dossier über ihn gehabt. Unter Zuhilfenahme der Phantomzeichnung, die nach Ollis Angaben entstanden war, hatte man das auch gefunden. Kleines Kompliment von Schmitz am Rande. Ein aufgewecktes Kerlchen hatte ich da mit Hannes tatkräftiger Unterstützung in die Welt gesetzt. «Richten Sie Ihrem Sohn aus, er hat uns sehr geholfen.»
Die Ratte hieß Mirko Bronko und war siebenundvierzig Jahre alt. Anhand der Fingerabdrücke wäre er nicht zu identifizieren gewesen, die waren noch nicht registriert. Bronko war ein ehemals jugoslawischer Staatsbürger, dessen Eltern vor über dreißig Jahren in die Bundesrepublik umgesiedelt waren. Sie lebten in der Nähe von Augsburg. Er hatte neben der ursprünglichen auch die deutsche Staatsbürgerschaft und tatsächlich ein paar Semester Medizin studiert. Dann hatte er an einer Kommilitonin eine Abtreibung vorgenommen. Die Frau war verblutet und er schnellstmöglich in seine ursprüngliche Heimat zurückgekehrt. Vor Ausbruch des Bürgerkriegs in Jugoslawien hatte er sich als Kellner durchgeschlagen. Und dreimal waren in der Nähe seiner Arbeitsplätze Touristinnen auf bestialische Weise umgebracht worden.
Wann er in die Bundesrepublik zurückgekommen war, wie er Bekanntschaft mit Odenwald geschlossen und wo er gewohnt hatte, wusste noch niemand. Fest stand seit dem
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