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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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Jahresvorrat«, sagte sie und deutete auf den Kaugummistapel. »Wir sind hier dreitausendsechshundert Mann. Wenn da jeder so viel Zeug mit in den Einsatz schleppen würde wie du, wäre es noch knapper mit dem Platz.«
    »Meine Kameraden zu Hause haben mich vorgewarnt«, erklärte ich. »Es soll hier schwer sein, Kaugummis aufzutreiben. Keiner der Einheimischen soll wissen, wie die Dinger heißen, wie sie schmecken sowieso nicht.«
    »Wahrscheinlich hast du Recht.« Johanna reichte mir meinen Plastikteller und mein Essbesteck. Alle Kameradinnen waren schon beim Frühstück, und wir wollten auf gar keinen Fall zu spät in der Feldküche auftauchen.
    »Ach du Schreck«, sagte Johanna. »Geschirr und Besteck habe ich nicht dabei.«
    Ich winkte ab. »Keine Sorge. Ich habe noch ein Set in meiner Kiste, das kannst du haben. Du sollst nicht aus der hohlen Hand essen müssen. Bloß weil die Jungs in der Küche es nicht schaffen, Geschirr zu spülen.«
    »Stimmt, die sind ja schon mit dem Zubereiten der Mahlzeiten überfordert. Der ungenießbaren Mahlzeiten.«
    Wir lachten. Noch lachten wir. Dabei wussten wir da noch gar nicht, was uns in der Feldküche erwartete.
    Zuletzt klebte ich noch einige Bilder meiner Lieben zu Hause mit Panzertape an die Zeltwand. Dann gab ich Johanna ein Zeichen - wir gingen frühstücken.

    Auf dem Weg zum Küchenzelt knurrte mein Magen. Ich freute mich sehr auf einen Kaffee und aufs Essen.
    Fünf Minuten später saßen wir - Johanna und ich - uns gegenüber, schauten uns mit großen Augen an, unsere Mägen knurrten nach wie vor. Wir mussten enttäuscht feststellen, dass sich unsere Vorstellung von Frühstück so gar nicht mit dem deckte, was die Feldküche hergab. Das Brot hätte locker als Hammer benutzt werden können, der Käse war an den Rändern bretthart, und der Kaffee schlichtweg ungenießbar. Lediglich der Weichkäse schmeckte einigermaßen, also hielten wir uns ausschließlich an den.
    »Komm, es ist besser als gar nichts«, sagte Johanna ermunternd.
    »Bist du dir wirklich sicher?«, fragte ich und überlegte, was ich mir demnächst von zu Hause schicken lassen würde.
    »Stimmt schon. Ich habe Hunger, bin aber noch nicht verzweifelt genug, um das hier zu essen. Komm, wir hauen ab«, sagte Johanna.
    Wir traten aus dem Zelt und verabschiedeten uns kurz darauf.
    Ich machte mich auf die Suche nach der Intensivstation, wo ich meinen Dienst beginnen sollte.
    Ein Kamerad, den ich nach dem Weg fragte, brachte mich zum Zelt meines Vorgesetzten, Herrn Hauptfeldwebel Michael Kuhrau. Der sympathische, attraktive Mann mit einem Gardemaß von gut 1,90 Metern hieß mich freundlich willkommen. Er war ein witziger Typ, der Harald Schmidt unglaublich ähnlich sah und seinen Humor auch hier im Kosovo nicht verloren hatte. Nach einer kurzen theoretischen Einführung teilte er mich sogleich in den Tagdienst ein und stellte mich meinen Kollegen vor. Justus, der Chirurg der OP-Gruppe, nahm sich meiner an und wies mich ein - so gut wie möglich.
    Für lange Reden war nämlich keine Zeit, denn ich musste sogleich meinen ersten Patienten behandeln. Der große, schlanke,
etwa fünfunddreißigjährige Albaner hatte bei einem Brand gut dreißig Prozent seiner Hautoberfläche eingebüßt und saß mit schmerzverzerrtem Gesicht vor mir. Grimmig schaute er mich an, als ich seine Wunden versorgte und nachdem ich ihm einen Verband angelegt hatte, warf er mir einen hasserfüllten Blick zu, der Bände sprach. Es war ihm ein Dorn im Auge, dass sich eine Frau um ihn kümmerte und kein in seinen Augen kompetenterer Mann.
    Kaum war ich fertig, bekam ich von meinem Kollegen Florian aus der Notaufnahme die nächste Aufgabe zugeteilt - und Schlag auf Schlag ging es den ganzen Tag. Ich hatte kaum Zeit, um auf die Toilette zu gehen, und für sentimentale Gefühle blieb auch kein Raum. Irgendwann schaltete sich mein Gehirn aus, und ich funktionierte nur noch, wechselte Verbände, stillte blutende Wunden, bandagierte Arme und Beine, verabreichte Medikamente - alles, ohne die Menschen vor mir wirklich wahrzunehmen.
    Am Nachmittag musste ich gleich eine bittere Erfahrung machen, denn ich verlor meine erste Patientin: Sie erlag einem postoperativen Lungenödem.
    Kurz bevor sie starb, sah ich die gut fünfzigjährige Frau, die bleich und völlig abgemagert auf dem Bett lag, lange an. Ihr Atem ging nur noch schwach, das Herz schlug unregelmäßig, sie kämpfte mit letzter Kraft um ihr Leben.
    Da trat der Arzt vom Dienst, auch AvD genannt,

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