Mit der Hoelle haette ich leben koennen
neben mich. »Die wird nicht mehr«, sagte er gefühlskalt und erklärte mir, in welchem Stadium des Sterbens sich die Frau gerade befand.
Eineinhalb Stunden sahen wir ihr beim Sterben zu und konnten nichts für sie tun. Für uns war sie eine Patientin, eine einheimische Patientin, aber ich bezweifle, dass einer von uns sie auch als Mensch sah. Ich bin mir nicht sicher, ob wir ihr Leiden hätten verkürzen können, und fast hatte ich den Eindruck, der AvD habe beschlossen, unsere Energie und Medikamente für die
deutschen Soldaten aufzubewahren. Damals aber, als ich vor dem Bett der Sterbenden postiert war, fühlte ich nichts.
Kurz bevor jene Patientin endgültig erlöst wurde, setzte eine Schnappatmung bei ihr ein. Wir verfolgten, wie ihr EKG abflachte und der Herzschlag immer schwächer wurde, bis er schließlich ganz ausblieb - Tod kannte ich bisher nur aus Lehrbüchern, so dass ich staunend zuschaute.
War es spannend? Ja.
Waren wir unmenschlich? Auf jeden Fall professionell.
Jawohl. Vielleicht verloren wir damals jeden Bezug zur Menschlichkeit …
In Anbetracht aller Schmerzen in mir,
ist Stille die einzige Konstante,
die ich mir erträumen darf.
4.
Dass wir im Camp mit allem rechnen konnten, nur mit einem nicht, nämlich nahrhaftem, ausgewogenem Essen, stellten Johanna und ich bereits bei unserem ersten Gang ins Küchenzelt fest. Allerdings hegten wir da noch die zarte Hoffnung, dass nicht alle Mahlzeiten so ungenießbar sein würden wie unser erstes Frühstück. Nun denn, die Hoffnung währte nicht lange.
Als wir am nächsten Tag mittags mit unserem Teller samt Besteck das Küchenzelt betraten, tischte man uns eine Suppe und eine Hauptspeise auf, bestehend aus Kartoffelpampe mit nicht näher bestimmbaren Beilagen - definitiv kein Fleisch -, und zum Nachtisch Götterspeise.
»Das kann man doch unmöglich alles auf denselben Teller tun«, sagte ich zu Johanna, als wir vor der Essensausgabe standen.
»Oh doch«, sagte sie und deutete auf den Kameraden vor uns, auf dessen Teller die Suppe um das Hauptgericht schwamm.
Da war ich auch schon dran, und der Küchenbulle kippte mit einer riesigen Kelle erst die »Suppe«, dann die »Hauptspeise«
und schließlich den »Nachtisch« in meinen tiefen Plastikteller. »Guten Appetit«, wünschte er mir mit einem süffisanten Grinsen.
Da ich davon ausging, dass er über den genauen Inhalt des Breis auf meinem Teller Bescheid wusste, bereitete mir sein Grinsen Kopfzerbrechen.
Und tatsächlich: Das Essen stellte nicht nur eine schwere Beleidigung für meine Geschmacksknospen dar, ich fand auch noch eine dicke Fliege darin.
»Igitt!«, rief ich und hielt Johanna die Gabel mit der ungewöhnlichen Proteinbeilage hin.
Sie verzog das Gesicht und hörte sofort auf zu essen.
»Meint ihr, dass wir diesen Einsatz überleben werden?«, warf die Kameradin ein, die mir gegenübersaß und am selben Tag wie wir im Lager angekommen war.
Wir schüttelten beide nur stumm die Köpfe.
»Wir werden vielleicht keine Opfer von Anschlägen oder Unfällen, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir die fiesen Attacken der Küchenbullen überstehen«, sagte die Kameradin und ließ die Pampe von ihrer Gabel tropfen.
Alle sechs Frauen am Tisch beobachteten, wie die Klumpen auf den Teller fielen, nur um Sekunden später in einer Tunke aus Fettaugen und weißen Stückchen von undefinierbaren Substanzen zu versinken.
»Keine Frage«, sagte ich mit Galgenhumor, »wenn wir das Essen hier im Camp überleben, haben wir die größte Gefahr hinter uns.«
Die anderen kicherten nur, weiteressen wollte nach meinem Fliegenfund jedoch keine von uns.
Es gibt Schlimmeres, dachte ich auf dem Weg nach draußen. Böse Zungen behaupteten allerdings: nicht viel Schlimmeres.
Das Erlebnis beim Mittagessen sollte lediglich der Anfang der kulinarischen Horrorvisionen sein. Am schlimmsten waren die
Tage, an denen die Küche überhaupt nichts Essbares hervorzaubern konnte. Einen Vorwurf kann ich den armen Kameraden am Herd allerdings nicht machen: Aus dem Nichts lässt sich nichts zaubern.
Leider kam es immer wieder zu Versorgungsengpässen, da die Logistiker im Camp vorrangig damit beschäftigt waren, die Unterkünfte und das Lager abzusichern. Um den Nachschub von Lebensmitteln - von einer abwechslungsreichen und nahrhaften Kost ganz zu schweigen - kümmerte sich zu der Zeit, als ich im Kosovo war, jedenfalls keiner so richtig.
Für unsere Vorgesetzten und die höheren Dienstgrade sah es nicht besser aus,
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