Mit der Hoelle haette ich leben koennen
wirklich super«, bestätigte Claudia, eine Kameradin, die im Zelt neben mir schlief.
»Wenn ich das meiner Mutter erzähle, wird sie einen Schreikrampf kriegen«, meinte Johanna nur, die den Hund ebenfalls mit großem Appetit verschlungen hatte. »Ich kann sie förmlich
sagen hören: ›Wie kann man sich nur dazu herablassen, Hunde zu essen.‹«
»Pah!«, erwiderte ich daraufhin. »Deine Mutter hat eben noch nie im Leben so einen Kohldampf geschoben!«
In unserem mit einundzwanzig Frauen belegten Zehnmannzelt galt ein ungeschriebenes, aber heiliges Gesetz: Wenn eine von uns von zu Hause ein Lebensmittelpaket erhielt, dann musste der komplette Inhalt unter allen Anwesenden gerecht aufgeteilt werden.
Klar, so manche Kameradin hätte den Paketinhalt lieber für sich behalten, und auch ich musste mehr als einmal schwer schlucken, wenn es ans Teilen ging.
Einmal hatte mir meine Schwester drei Zehnerpacks Duplo geschickt, weil sie wusste, dass ich die besonders gerne aß. Ich hatte kaum Zeit, die liebe Karte zu lesen, die sie mit in das Päckchen gesteckt hatte, da kam auch schon die erste Kameradin auf mich zu.
»Na, was hast du denn da Leckeres?«, fragte Sonja, die immer eine der Ersten war, wenn es etwas zu verteilen gab - sie hatte stets Angst, zu kurz zu kommen.
»Hmmm, Duplo!«, rief da auch schon Carmen, die wie aus dem Nichts vor mir auftauchte.
»He, ich will auch was abhaben«, meldete sich Johanna zu Wort, die gerade von der Toilette zurückkam.
»Moment mal, keine Sorge, ihr bekommt schon alle euren Anteil«, sagte ich und wendete mich ab, um die Zeilen auf der Karte zu lesen.
Es war unmöglich.
Wieder einmal stieß es mir bitter auf, dass ich in der ganzen Zeit, die ich nun schon hier war, nicht eine Sekunde alleine, ganz
für mich sein konnte. Höchstens auf der Toilette oder unter der Dusche konnte man mal ungestört sein, aber selbst das in der Regel nur für wenige Minuten. Gelegentlich träumte ich von Stille, von einem Ort ganz für mich allein, an dem ich meinen Gedanken nachhängen oder das verarbeiten konnte, was ich tagtäglich an Grauen erlebte. Es sollte aber ein Traum bleiben.
»Hier!« Ich öffnete das erste Zehnerpack, und ehe ich einmal tief Luft holen konnte, war es leer. Genauso erging es mir mit dem zweiten und dem dritten. Am Ende blieben mir nur wenige Zentimeter von der sogenannten längsten Praline der Welt. Geschmeckt hat sie mir trotzdem.
Ein andermal öffnete ich mit vor Hunger zitternden Händen die langersehnte Post aus der Heimat, hatte drei Dosen mit Wiener Würstchen vor mir liegen und konnte am Ende, nachdem alle ihren Anteil bekommen hatten, gerade mal ein halbes Würstchen essen. Das war schon bitter. Aber was hätte ich tun sollen? Wir waren nun mal Kameraden im Einsatz, und da lautete die Devise: einer für alle und alle für einen.
Irgendwann entwickelte ich eine Vorliebe für die 5-Minuten-Terrine und ähnliche Fertiggerichte, bei denen man nichts weiter brauchte als heißes Wasser, um eine warme, relativ schmackhafte Mahlzeit zuzubereiten. Bevor ich zum Einsatz in den Kosovo aufbrach, hatte ich keine Fertiggerichte gegessen, ich hatte nicht einmal das Bedürfnis, sie zu probieren. Doch während einer meiner schmerzhaften Heißhungerattacken musste ich zusehen, wie ein Kamerad mit Genuss seine Terrine löffelte. Und ab da wurde vieles anders …
»Hast du noch mehr davon?«, fragte ich ihn, während ich mit gierigem Blick neben ihm am Tisch saß.
»Hmhm«, nuschelte er mit vollem Mund.
»Willst du mir nicht eine verkaufen?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf.
»Ich zahle dir, was du willst«, versuchte ich ihn zu locken. Er blieb standhaft. Dabei hätte ich sie ihm sogar in Gold aufgewogen.
Wutschnaubend stürmte ich davon, als mich Klaas, der schmatzende Kamerad zurückpfiff. »Ich kann dir wohl eine schenken«, zwinkerte er.
Ich hatte den ganzen Tag in sengender Hitze gearbeitet und war völlig erschöpft und ausgehungert. An solchen Abenden gab es nichts Schlimmeres, als ins Essenszelt zu laufen und wieder einmal feststellen zu müssen, dass der uns vorgesetzte Fraß ungenießbar war.
Gleich am nächsten Morgen rief ich über das Satellitentelefon zu Hause an und bat meine Mutter, mir ein XXL-Paket von der Post mit zwanzig Terrinen zu schicken.
Es kam nur selten vor, dass jemand nicht teilte. Meist steuerte in unserem Frauenzelt jede das bei, was sie gerade da hatte. Und oft warfen wir alles, was wir auftreiben konnten, in der Mitte des
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