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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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Zeltes zusammen.
    Auf diese Art und Weise kam so manches seltsame Menü zustande, aber wir waren inzwischen abgehärtet. Keine von uns wollte zu kurz kommen, daher aßen wir alles, was wir in die Finger bekamen. Auch wenn es Würstchen mit Schokoladenrosinen und Knoblauchzehen waren, gespickt mit Gewürzgurken und Kartoffelchips, geschwenkt in einer Idee Gummibärchen oder Oliven.
    Es war wahrlich nicht alles lecker, was wir da so miteinander kombinierten, aber es füllte den Magen. Und nur das zählte. Außerdem hatten wir bei den Gelagen ausgiebig Gelegenheit, die Geschehnisse des Tages zu besprechen, über sie zu lachen oder gemeinsam zu weinen.
    Natürlich hätte sich jede von uns, dem Beispiel des Kameraden mit der 5-Minuten-Terrine folgend, sagen können: Wenn ich Hunger habe, sehe ich erstmal zu, dass ich selbst satt bin,
bevor ich den anderen etwas abgebe. Zum Glück sahen wir es anders.
    Der Sinn von Kameradschaft war und ist für mich, sich gegenseitig zu stützen, wenn der eine mal nicht mehr gehen kann. Zuzuhören, füreinander da zu sein. Darüber hinaus war es eine ganz einfache Rechnung: Jede Einzelne von uns ging wesentlich öfter zumindest einigermaßen satt ins Bett, wenn wir unsere Vorräte mit allen teilten. Ganz anders wäre es gewesen, wenn man sich alleine von dem Inhalt des eigenen Care-Paketes aus der Heimat, das alle paar Wochen eintraf, ernähren müsste.
    Außerdem gibt es Dinge, über die lässt es sich nicht diskutieren oder philosophieren - die sind nun mal so. Den Paragrafen eins, der da hieß: Jeder macht das Seine - den gab es unter uns nicht. Tanzte doch mal jemand aus der Reihe, dann sah sich der-oder diejenige schnell mal mit der Tatsache konfrontiert, das gesamte Camp gegen sich zu wissen.
    So erging es unter anderem Ralf, der einen florierenden Handel mit Satellitenreceivern trieb. Er kaufte den Einheimischen die Receiver für einen Spottpreis ab und verhökerte sie dann im gesamten Camp mit einer Gewinnspanne von bis zu tausend Prozent. Nachdem selbst dem Letzten von uns sein übermäßiger Geschäftssinn klarwurde, gab es Ärger. So war Ralf plötzlich nicht nur in der Verlegenheit, keinen einzigen Receiver mehr verkaufen zu können, er musste auch damit leben, dass seine Wäsche »versehentlich« in der Wäscherei verlorenging, seine Post unter dubiosen Umständen verschwand oder er beim Essen keinen Sitzplatz fand, weil keiner von uns mit einem niederträchtigen Wiesel wie ihm an einem Tisch sitzen wollte. Tja, da standen wir eben alle wie ein Mann zusammen.
    Vermutlich kann jemand, der nie Soldat war und dem das Prinzip Kameradschaft fremd ist, diese auf den ersten Blick vielleicht heftig wirkende Reaktion nicht nachvollziehen. Aber wenn man in
einem fremden Land, noch dazu mit einem Auftrag, der einem alles abverlangt, rund um die Uhr in Bereitschaft ist, um Elend, Not und Tod die Stirn zu bieten, dann werden plötzlich Menschen zur Familie, die sich im Extremfall erst seit ein paar Tagen kennen.
    Die Kameraden im Kosovo waren für mich damals die einzige Stütze. Natürlich fieberten und litten meine Mutter, meine Schwester und meine Verwandten von zu Hause aus mit mir. Natürlich hielten sie mir die Daumen, hofften, dass ich nicht verletzt wurde, und schickten mir regelmäßig Grüße, Karten und Briefe. Doch was tatsächlich jeden Tag vor Ort geschah, was ich sah und erlebte, was meine Seele berührte, verstanden nur diejenigen, die die gleichen Bilder vor Augen hatten wie ich.
    Auch wenn die Bindung an meine Kameraden im Einsatz sehr stark war, auch wenn die Umstände, die uns zusammenschweißten, oft sehr extrem waren - an dem Tag, als ich mich aus dem Einsatzland verabschiedete, schlief der Kontakt zwischen uns augenblicklich ein.
    Schließlich wollte ich genauso wenig wie meine Kameraden hören, dass möglicherweise einer der Menschen, die mir achtundachtzig Tage und vier Stunden näher gewesen waren als der liebe Gott, plötzlich mit dem Leben nicht mehr klarkam, dass er krank oder depressiv geworden war.
    Den Krieg erlebt zu haben, ist eine schwere Bürde. Grausame Erlebnisse, die man überstanden hat, mögen in der Situation, in der sie geschehen, durchaus hinnehmbar sein - doch dass man sich durch Kameradenkontakt nach dem Kriegseinsatz immer wieder gegenseitig daran erinnert, das geht nicht.

Wenn es Scherben
in deinem Leben gegeben hat,
kannst du nicht erwarten,
dass das Schicksal sie dir
aus dem Weg räumt.
    5.
    Die ersten Wochen im Lager vergingen

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