Mit der Hoelle haette ich leben koennen
zwischen Wahnsinn und Alptraum. Menschen, die durch Minen verletzt worden waren, Soldaten mit Schusswunden und verbrannte Zivilisten gaben sich in unserem Feldlazarett die Klinke in die Hand, und es verging kaum ein Tag, an dem nicht für mindestens einen unserer Patienten jede Hilfe zu spät kam.
Meist stand ich auf, wusch mich, frühstückte, absolvierte meinen Dienst auf der Intensivstation und verbrachte die Freizeit im Betreuungszelt oder auf meinem Feldbett. Abends saßen wir in kleineren oder größeren Gruppen zusammen, und es wurde so gut wie immer viel getrunken. Sicher gab es auch mal Auseinandersetzungen oder sogar Streit, doch im Großen und Ganzen verstanden wir uns alle recht gut - wir hielten zusammen, weil wir wussten, dass wir aufeinander angewiesen waren. Wir mussten uns aufeinander verlassen können. An jenen Abenden erzählten wir uns von unseren Lieben zu Hause und malten uns in den buntesten Farben aus, wie unsere Eltern oder Partner uns willkommen
hießen, wenn wir nach Hause kämen. Natürlich unterhielten wir uns auch über die Patienten, die Tag für Tag in der Intensivstation, in der Notaufnahme und in der Pflege betreut werden mussten und deren Schicksale uns nicht immer kaltließen. Es stürmte viel auf uns ein in jenen Tagen, aber wir gaben uns gegenseitig Halt.
Dennoch hielt schon bald die Langeweile Einzug. Da es nicht möglich war, das Camp ohne Schutzweste und konkreten Auftrag zu verlassen, und ein Ausflug ins »Zentrum des kriegsgebeutelten Wahnsinns«, wie wir Prizren nannten, zu gefährlich gewesen wäre, waren wir gezwungen, unsere Freizeit im Camp zu verbringen. Schon nach wenigen Tagen kannte ich jeden Soldaten, jeden Quadratmeter, jeden noch so verlassenen Winkel. Kein Wunder also, dass mich ziemlich schnell und obendrein ziemlich heftig der Lagerkoller überkam.
Freizeit war im Grunde nicht planbar, da wir uns alle quasi vierundzwanzig Stunden am Tag in Bereitschaft befanden und jederzeit angefordert werden konnten. Hatten wir ausnahmsweise dann doch mal ein bisschen Muße und konnten ein paar freie Stunden genießen, war uns schnell langweilig. Heute noch kommt mir jene Zeit öde und karg vor, mit nichts weiter als lieblosen Zeltlandschaften und Zäunen.
Als ich mit Sophie, einer befreundeten Kameradin, in der »Bronx« saß und so gar nichts mit mir anzufangen wusste, deutete sie auf das Gebiet hinter dem Zaun und meinte: »Sieh dir doch nur die schöne Landschaft an. Was das angeht, ist der Kosovo schon herrlich.«
Es war mir egal, wie schön die Landschaft war. Wenn man sie nur durch Gitterstäbe oder Zäune betrachten konnte, war sie in meinen Augen nichts wert.
Man hätte meinen können, dass uns derart profane Dinge wie Auszeit und gelegentlicher Leerlauf nicht weiter tangierten, vor
allem, weil uns täglich Grausamkeiten begegneten, uns an manchen Tagen sogar bis ins Zelt verfolgten - das Gegenteil war aber der Fall.
Immer schon eine Vorhut in Sachen Spaß, versuchte ich gemeinsam mit einigen Kameraden, die ähnlich ambitioniert waren, gegen die Langeweile anzukämpfen. Da alle mit großer Begeisterung bei der Sache waren, hatten wir schon bald verschiedene Programmpunkte entworfen. Doch selbst ein spontan ins Leben gerufenes kleines Badmintonturnier unter freiem Himmel brachte kaum Besserung, weil der kurzzeitigen Abwechslung schnell wieder Lethargie folgte.
Einmal endete eine unserer Aktionen zur Auflockerung des Lagerlebens allerdings fatal, was zur Folge hatte, dass ich bis heute keine Spaghetti mit Tomatensoße mehr essen kann. Dabei fing der Abend, der höllisch endete, absolut himmlisch an.
Justus - der Chirurg, der mich am ersten Tag so freundlich begrüßt hatte - und ich entwickelten die Idee, dem quälenden Hunger mit einem italienischen Abend zu begegnen. Wir hatten vor, jene Menschen, die tagtäglich unter Einsatz all ihrer Kräfte im Feldlazarett arbeiteten, ihrem von Traumata beherrschten und oft tränenreichen Alltag zu entreißen - und sei es nur für ein paar Stunden.
Jannik - der Leiter der Instandsetzungstruppe, die alle immer nur »Jean Pütz und seine Männer von der Hobbythek« nannten - war sofort von unserem Plan begeistert und sicherte seine Unterstützung zu. Der überaus sympathische blonde Hüne war generell zu allen Schandtaten bereit und hatte für jedes technische Problem eine Lösung. Das Werkzeug, das er für die diversen Instandsetzungsmaßnahmen im Camp benötigte, hatte er sich komplett
aus Deutschland schicken lassen
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