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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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waren, ganz wie erhofft, begeistert von unserer Dekoration. Wir hatten uns extra aus Deutschland eine CD von Eros Ramazotti schicken lassen, um uns für einen Abend - hier, am Ende der Welt - das Gefühl südländischer Zivilisation vorzugaukeln.
    Ich hatte einen Heidenspaß daran, die Vorfreude meiner Kameraden auf das bevorstehende gute Essen mit der Videokamera zu verewigen. Freudestrahlend hielt ich die infantile Aufregung, die gelungenen wie misslungenen Versuche, sich für den Abend in Schale zu werfen, und das allgemeine Lachen - das seit Tagen, wenn nicht gar Wochen verschüttet schien - für die Ewigkeit fest. Die heiteren Bilder bannte ich jedoch nicht nur auf die Videokassette, sie brannten sich auch für immer in meinen Kopf.
    Pure Freude, ungehemmte Redseligkeit oder gar Glück schienen bei diesem Einsatz, in dieser Hölle, nicht vorzukommen. An jenem Abend aber, wenngleich nur für wenige Stunden, gelang uns das Unglaubliche: Justus und ich brachten die Menschen um
uns herum dazu, ihr Misstrauen und auch ihren Argwohn kurzfristig zu vergessen.
    Endlich kam das Essen auf den Tisch - wir stürzten uns wie die Geier darauf. Die Töpfe waren in Windeseile leer. Bald wurde es mucksmäuschenstill am Tisch, weil alle damit beschäftigt waren, ihren Magen zu füllen.
    »Zum Teufel«, rief plötzlich Florian, unser Kamerad aus der Notaufnahme, in die Stille hinein. »Wie habt ihr es nur geschafft, dass die Nudeln dermaßen zusammenkleben?« Um seine Worte zu untermalen, hielt er auf seiner Gabel einen riesigen Klumpen hoch, der nur entfernt an Spaghetti erinnerte.
    Einige der Anwesenden fingen an zu johlen und zu pfeifen, andere riefen »Schnauze!« oder »Weiteressen!«
    Florian hatte es keineswegs böse gemeint, denn im nächsten Augenblick biss er voller Inbrunst in die teigige Masse und schlang sie fast ungekaut herunter.
    »Seien wir ehrlich. Das Essen schmeckt nicht wirklich. Sieht auch nicht appetitlich aus«, flüsterte ich Sophie zu, die neben mir saß.
    Sie lachte erst und sagte dann: »Stimmt, aber der Abend ist trotzdem toll.«
    Nickend schob ich mir eine Portion klebriger Nudeln samt der Soße aus Tomaten und Knoblauch in den Mund. Es war eindeutig: Für uns alle bedeutete diese Mahlzeit wesentlich mehr als nur ein Essenfassen. Dies war das unvergleichliche selbstbestimmte Leben, das für wenige Augenblicke zu uns zurückgekehrt war. Für diesen einen Abend waren wir nicht mehr im Kosovo - und das allgegenwärtige Thema Tod kam nicht zur Sprache. Uns allen schmeckte es entsetzlich. Doch für einen Abend so tun zu können, als gäbe es in unserem Leben so etwas wie Normalität, war ein erhellender und beglückender Moment zugleich.

    Selten hat mir ein Gericht mehr nach Freiheit und Heimat geschmeckt als diese kulinarische Kapitulationserklärung. War es das gemeinsame Essen mit Menschen, die ich sonst nur grimmig dreinschauend, pessimistisch und seelisch ausgelaugt kannte, das mir Freiheitsgefühle vermittelte? Oder waren es doch die Spaghetti, die mich so sehr an zu Hause erinnerten? Oder war es lediglich die ausgelassene Stimmung? Egal, ich konnte für einige Stunden wieder an ein Leben nach dem Einsatz glauben. Und ich hinterfragte nicht, ich genoss. Ich genoss, weil ich wusste, dass mich die Realität bald schon einholen würde. Dass sie mich noch am selben Abend auf den harten Boden der Tatsachen zurückholen würde, damit rechnete ich allerdings nicht.
    Wir waren mitten im Fest, als Björn, der diensthabende Arzt, von hinten an mich herankam und sagte: »Dani, kommst du mal bitte.« Ich drehte mich um. »Was gibt’s?«, fragte ich leicht genervt.
    »Könntest du bitte mit mir im Kühlcontainer die Vitalkontrolle bei den Toten von heute durchführen?«
    Laut internationalem Recht ist man als Mediziner verpflichtet, bei jedem verstorbenen Menschen nach einiger Zeit die sogenannten Vitalzeichen zu prüfen - um sicherzugehen, dass es sich um keinen Scheintod handelt. Das wollte Björn nun tun.
    Ich stöhnte, denn ich wusste, dass der Container diesmal bis unters Dach mit Toten gefüllt war, da wir an diesem Tag besonders viele Patienten verloren hatten.
    Ich wollte das Fest nicht verlassen, und so fragte ich ein wenig hilflos: »Wieso ich?«
    »Weil du als diensthabender Retter mir etwas zu den heutigen Vorfällen erzählen kannst.« Björn zuckte die Achseln und schob leise ein »Sorry« hinterher.
    »Na gut.« Zähneknirschend erhob ich mich.
    »Komm bald wieder«, rief mir Sophie noch

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