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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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etwas wie einen Sinn bei meinem Einsatz als Soldatin im Kosovo erfahren. Die Begegnung mit ihr zählt dort zu den wenigen Momenten, in denen mein Dasein nicht vollständig unnütz zu sein schien.

    Leider wechselten sich Freud und Leid in meinen Kosovotagen munterer ab, als man gute und schlechte Nachrichten verarbeiten konnte. Bald schon sollte ich wieder eine Todesnachricht überbringen müssen.
    Dabei hatte der Abend nach einem harten und anstrengenden Dienst so fröhlich und ausgelassen angefangen - mit einem spontanen Badmintonturnier.

    Wir hatten nach dem ersten Turnier, an dem so viele Kameraden begeistert teilgenommen hatten, schon öfter Badminton gespielt. Mit vereinten Kräften räumten wir die unzähligen Garnkartons aus einer der Fabrikhallen und schufen so ausreichend Platz für ein großes Spielfeld. In den nächsten Tagen besorgten einige Kameraden in Prizren noch schnell ein paar zusätzliche Schlägersets, und wir spannten ein langes Seil, so dass es am nächsten Abend losgehen konnte.
    Punkt achtzehn Uhr standen zu meiner grenzenlosen Überraschung zwanzig Leute in knappen Sporthosen und blauen Bundeswehr-Shirts vor mir. Die Begeisterung war groß, als Tim, unser Oberstabsarzt und ein leidenschaftlicher Sportler, verkündete, dass nun ein Turnier anfangen würde. Eigentlich sollte jeder gegen jeden spielen, doch recht schnell kam es zu einem gänzlich anderen Duell. Die Turnierteilnehmer spalteten sich in zwei Lager. In Kameraden aus der ehemaligen DDR auf der einen und in Wessis auf der anderen Seite.
    »Bin gleich zurück«, rief Fabian, der Veterinär unserer Truppe - ein zierlicher Mittdreißiger mit leiser Stimme -, und verschwand kurz.
    Nach seiner Rückkehr setzte er sich am Spielfeldrand auf einen Stuhl. Er wartete, bis das Spiel anfing, und hielt dann je nach Punktestand eines seiner selbst gebastelten Schilder in die Höhe.
    Entweder: »Ossi vor!« oder: »Wessi top!«. Wir amüsierten uns prächtig.
    Demnächst sollte ich drankommen. Ich machte mich gerade fertig, als der Feldwebel von der Patientenaufnahme, auf mich zugerannt kam.
    »Man braucht dich im Schockraum«, flüsterte er mir zu. »Da ist ein Minenjunge, den sie nicht narkotisiert kriegen, weil er vor Angst und Schmerzen wie am Spieß brüllt. Du musst für ihn übersetzen.«

    Panische Angst stieg in mir auf, schließlich waren mir die Bilder des verstorbenen Minenjungen, dessen Eltern ich die Todesnachricht hatte überbringen müssen, noch sehr präsent.
    Ich drängte das ungute Gefühl beiseite und rannte so schnell ich konnte zu den Schockräumen. Unterwegs ertappte ich mich dabei, dass ich durch den Mund atmete - die Furcht davor, erneut Blutgeruch in der Nase zu spüren, war übermächtig.
    Außer Atem stürmte ich in den Schockraum, in dem bereits ein Arzt und zwei Rettungssanitäter vor einer Liege standen, auf der ein etwa dreizehnjähriger Junge lag, dem das linke Bein in Fetzen von der Hüfte hing. Sein linker Arm fehlte. Das Gesicht des Jungen war blutüberströmt.
    Tim, der Arzt, sagte: »Erklär ihm, dass wir ihm helfen wollen. Dass er keine Angst zu haben braucht.«
    Ich eilte ans Kopfende der Liege und redete leise auf den Jungen ein, der vor Schmerz und Angst wimmerte. Er befand sich in einem derart schweren Schockzustand, dass die Narkose nicht anschlagen wollte.
    »Wo ist meine Mama?«, fragte er mich mit tränenerstickter Stimme.
    »Die wartet draußen auf dich«, sagte ich, obwohl ich nichts Genaues wusste. »Halt durch«, fügte ich noch hinzu. »Es wird alles wieder gut.«
    Ich habe ihn nicht gerne belogen …
    Sekunden später kam ein Hauptfeldwebel mit einem mobilen Röntgengerät in den Schockraum.
    »Legt den Jungen auf den Röntgentisch«, forderte er uns auf.
    Aufgrund der zahlreichen Verletzungen des Jungen brauchten wir dazu jede verfügbare Hand und hoben ihn gemeinsam - auf drei - an.
    Da löste sich der Fuß des Jungen vom Bein und fiel auf den Fußboden.

    Ich erstarrte mitten in einer Bewegung, während eine mir bislang unbekannte Schockwelle meinen Körper erfasste.
    Die Welt stand für einen unendlich langen Moment still, und alle im Raum starrten auf den Fuß. So etwas hatte keiner von uns je gesehen.
    Da befahl Tim heiser in die Stille hinein: »Konzentriert euch. Es muss weitergehen.«
    Die Röntgenbilder ergaben leider nichts, da die Narkose immer noch nicht wirkte und der Junge sich zu stark bewegt hatte, um gute Aufnahmen zu liefern.
    Doch bald bewegte sich der Junge gar nicht

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