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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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Kugelhagel hinein.
    Mein Drohruf verhallte ohne Wirkung. Wie zuvor wiegte die Frau ihr Bündel, sie schien in eine Art Hospitalismus verfallen zu sein.
    Angespannt bis in die Haarspitzen stand ich da und überlegte fieberhaft. Was sollte ich tun? Was, wenn die Frau eine Waffe bei sich trug? Genau, ich musste sicherstellen, dass sich bei ihr keine Waffen befanden!
    So hielt ich mein Gewehr weiterhin auf die Frau gerichtet und griff mit der linken Hand in ihr Bündel.
    Das hätte ich nicht tun sollen.
    Keineswegs konnte ich feststellen, was sich im Bündel befand, doch augenblicklich kam eine allzu bekannte Empfindung über mich: Ekel.
    Als ich nachschaute, befand sich im Bündel eine Leiche. Die Leiche eines Babys.
    Das Baby musste schon seit Wochen tot sein, denn sein Körper war hochgradig verfallen. Ich hatte in die Bauchhöhle des toten Babys gegriffen.
    Die Mutter aber hatte vermutlich nicht wahrnehmen wollen oder können, dass ihr Kind tot war.
    Wie es sich angefühlt, mit den Fingern in einen verwesten Kindertorso zu greifen, dieses Gefühl ist heute noch so präsent wie damals. Sobald ich die Augen schließe, sehe ich das Haus, die Frau, steigt mir der Verwesungsgeruch in die Nase.

    Nachdem ich meine Waffe beiseitegelegt hatte, säuberte ich die Hand an meiner Hose und nahm die Frau wortlos in die Arme.
    Noch immer spüre ich, wie sie enthemmt weinend und verzweifelt an meiner Schulter lehnt, beide Arme fest um mich geschlungen, die Finger in meine Uniform gekrallt. Noch immer spüre ich, wie ihre Tränen und ihr Speichel an meinem Hals hinabrinnen.
    Minuten vergingen. Oder waren es Stunden?
    Als meine Kameraden in den Raum kamen, erfassten sie die Situation sofort und führten uns beide, Arm in Arm, aus dem Haus. Draußen brachte ich das Bündel wieder in Ordnung und reichte es der Frau, die es sogleich wieder auf den Arm nahm.
    Wir übergaben die Frau einer ihrer Nachbarinnen, die sich um sie zu kümmern versprachen. Mehr konnten wir nicht für sie tun. Ich war keine Therapeutin, als Soldatin konnte ich der verzweifelten Frau nicht mehr Zeit widmen.
    Meine Kameraden drängten zum Aufbruch. Das Haus des Grauens im Blick, stieg ich in unseren Wolf ein.
    Nirgendwo in den Statuten der Bundeswehr steht, wie viel Zeit an emotionalem Beistand ein traumatisierter Mensch von einem NATO-Soldaten verlangen darf. So starrte ich auf der Rückfahrt ins Camp stumm aus dem Fenster und erstellte im Geiste eine Liste: Erschießung von Familienmitgliedern - dreißig Minuten, Vergewaltigung - fünfzehn Minuten, körperliche Gewalt - vergiss es, die sollen sich nicht so anstellen!

    Es war absolut sinnlos, darauf zu hoffen, dass je wieder so etwas wie Normalität einkehrte. Am nächsten Tag ging es wie gewohnt weiter, als wäre nichts geschehen.

    Ich lief durchs Camp wie ferngesteuert, unfähig zu jeglicher Reaktion. Wie ich meine Arbeit erledigte, kann ich nicht sagen, es war, als wäre ich eine Marionette.
    Ein paar Tage nach der Begegnung mit der Frau und dem toten Baby empfing ich am Morgen meinen Befehl, stieg in den Wolf und fuhr mit einigen Kameraden stundenlang über steile Kurven in ein Dorf, das verlassen, ja regelrecht ausgestorben schien.
    Wir stiegen aus und überprüften die Lage, checkten Ecke um Ecke, Erker für Erker. Nichts.
    Lange nichts.
    Bis plötzlich ein Kamerad brüllte: »Hier ist was!«
    »Wo?«, rief ich, denn ich konnte nichts entdecken.
    »Na dort, im Stall.«
    Er hatte Recht. Im Stall fanden wir die Leichen von fünfzehn Menschen, die mit Spiritus übergossen und offenbar bei lebendigem Leib verbrannt worden waren.
    Keiner kann einem anderen plausibel erklären, weshalb Menschen anderen Menschen so etwas antun. Sind wir nicht alle Geschöpfe Gottes, Allahs - oder wie auch immer man den Schöpfer nennen möchte? Unvorstellbar, dass irgendein Gott solche Grausamkeit gutheißt.
    Sogleich sagte einer meiner Kameraden: »Hier können wir nichts mehr tun. Hier müssen Leichenbeschauer her. Wir sollten weiter, Männer. Sattelt die Hühner. Hier liegen überall Kadaver, es gibt also noch viel zu entdecken.«
    Seine Respektlosigkeit menschlicher Tragik gegenüber ließ mich aggressiv werden. »Ist das alles, was Ihnen einfällt? Da drin sind Menschen verreckt ! Ist Ihnen das etwa total egal?«, schrie ich ihn an.
    »Ach, Mädel«, erwiderte er nur und bedachte mich mit einem herablassenden Lächeln. »Irgendwann gewöhnst du dich schon dran. Krieg ist nun mal die Hölle, aber sein Sound ist echt geil!
So,

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