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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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Intensivstation und auch die Befragungen zu den Ereignissen im Dorf, doch wenn ich nicht gerade in einer medizinischen Rettungsaktion oder im Verhör steckte, packten mich die Schuldgefühle über Ivicas Tod. Zwischen Wut und Ohnmacht pendelnd, fragte ich mich beständig, warum ich überlebt hatte. Ich vermochte keinerlei Sinn mehr zu erkennen, und das Gefühl, von Sinnlosigkeit umgeben zu sein, sollte sich auch nach meiner Rückkehr nach Deutschland fortsetzen.

    Nach dem Tod des Jungen versank ich in Selbstmitleid und seelischer Geißelung - beides habe ich bis zum heutigen Tage verfeinern, beinahe perfektionieren können. Im Prinzip ist mir jeder Anflug von Schuld in Bezug auf die tragischen Ereignisse jederzeit herzlich willkommen.
    In der kommenden Woche brachten wir die Befragungen im Dorf zu Ende. Keines der verbleibenden Kinder wagte es noch, seine Peiniger zu entlarven, so dass wir keine verwertbaren Aussagen mehr erhielten. Letztlich mussten wir unverrichteter Dinge unsere Waffen vor Kriegsverbrechern strecken. Eine entwürdigende Erfahrung.
    Bis heute weiß ich nicht, was aus Ivicas Mörder geworden ist. Mich in der Zeit meines Einsatzes danach zu erkundigen, habe ich vermieden. Vermutlich weil ich Angst davor hatte, erfahren zu müssen, dass der unfassbar seelenlose Verbrecher ungesühnt davongekommen ist.
    Ich konnte es mir damals nicht erlauben, Schwäche zu zeigen, denn ich brauchte all meine Kraft, um im Alltag zu funktionieren. Das Leben im Einsatz ging weiter - ohne Erbarmen.

Wenn Menschen zu deinen Feinden werden,
werden Worte zu deinen Freunden.
    9.
    Seit der MAD mich zum ersten Mal für seine Zwecke abkommandiert hatte, veränderte sich mein Tätigkeitsfeld komplett. Die Arbeit auf der Intensivstation fehlte mir, und ich hätte einiges darum gegeben, wenn ich im Camp hätte bleiben können, statt tagtäglich mit meinen Kameraden durchs Land zu fahren, um Befragungen durchzuführen.
    Eines Morgens erhielten wir den Auftrag, einige vermeintliche UÇK-Kämpfer zu verhören. Fast die gesamte Bevölkerung eines Dorfes war zu Tode gekommen - und wir sollten die Täter aufspüren. Zunächst setzten wir unsere Informanten ein. Wenige Tage später nannte uns einer von ihnen die Adresse eines vermeintlichen hohen UÇK-Mitgliedes.
    Unsere Patrouille war mit einem G36-Gewehr und Pistolen bewaffnet, als wir eines Abends vor dem Haus des Mannes eintrafen - den Helm und die Bristol hatten wir auch schon angelegt.
    Zu viert stürmten wir das Gebäude.

    Mit lautem Getöse flog die Haustür auf.
    Drinnen war alles dunkel, weshalb wir einen Moment brauchten, um uns zu orientieren. Wir schlichen gerade in Zweiergruppen durch die Räume im Erdgeschoss, als wir aus dem oberen Stockwerk ein Schluchzen vernahmen, das von einer Frau stammen musste.
    Der Kamerad, der mit mir unterwegs war, nickte mir zu und gab damit zu verstehen, dass ich ihm in den ersten Stock folgen sollte.
    Er rannte voraus. Am oberen Treppenabsatz raunte er mir zu: »Du schaust links, ich rechts!«
    Ich nickte.
    »Du bist eine Frau, auf dich wird sie hören«, sagte er noch - und lief los.
    Meine Waffe im Anschlag schritt ich den linken Flur entlang. Das Schluchzen wurde lauter und klagender.
    Als ich eine angelehnte Tür erreichte, stieß ich sie auf und sah mich einer Frau um die dreißig gegenüber, die mit einem Bündel im Arm am Fenster stand.
    Auf Kroatisch sagte ich zu ihr: »Nehmen Sie die Hände hoch. Lassen Sie fallen, was Sie da im Arm halten, und kommen Sie langsam zu mir.«
    Sie tat nichts dergleichen, nur ihr Schluchzen wurde verzweifelter.
    »Hände hoch und umdrehen!«, befahl ich barsch.
    Nichts. Die Frau sah mich nicht einmal an.
    Da stürmte ich auf sie zu, hielt ihr mein Gewehr unter die Nase und schrie: »Wirf sofort dieses Bündel auf den Boden, oder ich ballere dir das Gesicht weg!«
    Das war drastisch, aber ich musste unbedingt zu der Frau durchdringen, weil ich sonst womöglich wirklich hätte schießen müssen. Schließlich hatte ich nicht die geringste Ahnung, was sie
da in ihren Armen versteckt hielt. Für mich und meine Kameraden bedeuteten solche Situationen in erster Linie unmittelbare Gefahr - und nach den Umständen von Ivicas Tod hätte ich es nicht verkraftet, für den Verlust auch nur eines einzigen weiteren Menschenlebens verantwortlich zu sein. Zwar war ich alleine mit der Frau, doch wenn sie mich niedergeschossen hätte, hätten meine Kameraden ohne Umschweife das Zimmer gestürmt - unter Umständen in einen

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