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Mit der Linie 4 um die Welt

Mit der Linie 4 um die Welt

Titel: Mit der Linie 4 um die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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Hessel auf der etwas mondäneren Pölitzer Straße, heute die Wyzwolenia. Beide Elternhäuser stehen nicht mehr, aber an dem Nachfolgebau in der Bollwerk 37 weist eine Tafel auf den Autor von Berlin Alexanderplatz hin.
    1897 fuhr die erste Elektrische durch die Stadt, 1912 gab es auch schon eine 4, die vom Tiergarten über die Bollwerk und den Kohlmarkt bis zur Arndtstraße verkehrte. 1924, nachdem die Stadt die Mehrheit des Aktienkapitals an der Straßenbahngesellschaft übernommen hatte, wurde die 4 vom Hauptbahnhof bis zum Krankenhaus verlängert und fuhr eine Strecke von 5,8 Kilometern, im Norden entlang der ehemaligen Festungsanlagen, die zu breiten, baumbewachsenen Alleen umgestaltet worden waren. Die heutige 4 nimmt eine ähnliche Strecke wie in den dreißiger Jahren, nur dass sie nicht mehr am Bahnhof, an der Oder und der Altstadt vorbeikommt. Stattdessen wird die Linie über den heute Niepodlgłości-Allee genannten Paradeplatz und oberhalb des Hauptbahnhofs bis Potulicka geführt.
    Am Paradeplatz gab es zwei bedeutende Bauten der zwanziger Jahre. Der eine, gleich an der Ecke zum Berliner Tor, war ein Ufa-Kino mit Warenhaus. 1929, als es von dem Berliner Kinoarchitekten Max Bischoff – sein bekanntestes Werk war der Ufa-Palast am Bahnhof Zoo in Berlin – errichtet wurde, war die Verbindung von Handel und Vergnügen unter einem Dach etwas ganz Neues. Man konnte die Kinder ins Kino schicken und währenddessen im Deutschen Familienkaufhaus, DEFAKA genannt, in Ruhe einkaufen. Das Kaufhaus ist trotz einiger Umbauten heute noch erhalten, wenn auch leer, die Fassade im Moment nicht mehr als ein Werbeträger, das Kino verschwunden. Mit dem zweiten bedeutenden Zwanziger-Jahre-Bau an der Niepodlgłości-Allee ist eine Tragödie verbunden. Das Haus Ponath mit der berühmten runden Fassade und den horizontalen Fensterbändern war 1929 im Auftrag des Unternehmers Otto Ponath, ähnlich dem Haus Vaterland in Berlin, als gastronomischer Komplex mit Café, Restaurant, Konditorei, Kabarett, Billardzimmer und Palmenterrassen errichtet worden. Berühmte Kaffeehausdirigenten kamen aus Berlin angereist, um hier en-suite zu spielen, und Berliner fuhren zum Kaffeetrinken an die Oder und abends wieder zurück. Das Haus Ponath überstand den Krieg leidlich und wurde ab den sechziger Jahren als Gastronomiekombinat unter dem Namen Kaskade weitergeführt. Es war ein beliebter Treffpunkt ausländischer Seeleute, die im Hafen an Land gingen, und entwickelte sich zu einem der besten Nachtclubs Polens. Czesław Niemen und Halina Franzkowiak haben hier in den siebziger Jahren gesungen, und auch die sowjetische Schlagersängerin Alla Pugatschowa. Am 27. April 1981 geriet das Haus durch eine defekte Steckdose in Brand. Zu der Zeit hielten sich zwanzig Gastronomielehrlinge und einige Arbeiter im Gebäude auf. Vierzehn Menschen kamen in den Flammen oder beim Sprung aus dem Fenster ums Leben. Im Moment wird an der Stelle des Vergnügungspalastes eine dieser austauschbaren Shopping Malls errichtet. Nur der Name Kaskade erinnert an die Geschichte des abgerissenen Gebäudes. Bei Ausschachtungsarbeiten hat man ein Stück alte Stadtmauer gefunden und gesichert.
    Am Żołnierza Polskiego, dem ehemaligen Königsplatz, biegt die Bahn nach rechts ab und fährt in Richtung Schloss. Auf dem Königsplatz stand einmal das von Carl Ferdinand Langhans errichtete Stadttheater, das tausendzweihundert Plätze hatte einschließlich zweier »Fremden-Nischen« im ersten Rang. Das Theater war der Stolz der Stettiner Bürger, die Kaufmannschaft hatte seine Errichtung finanziert. Ihr gehörte das Gebäude bis Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, dann übergab sie es der Stadt. Nach dem Krieg wurde das Theater abgetragen und die Ziegel für den Wiederaufbau Warschaus verwendet. Die Straße wurde verbreitert und geht hinter dem Schloss in eine Schnellstraße über, die die Westseite der Stadt mit der östlichen Oderseite verbindet – die Nabelschnur nach Polen. Unmittelbar nach dem Krieg war es einige Wochen unklar, wozu der Teil links der Oder gehören sollte.
    Im ehemaligen Königstor ist heute ein schönes kleines Jazzcafé, das auch viele Studenten der nahe gelegenen Universität besuchen. Dort biegt die 4 ab in die Jana-Matejki-Straße und damit auf die Stammstrecke, die sie schon vor dem Krieg befuhr.
    Neben der Brache des Theaters gibt es den Solidarność-Platz, wo ein Denkmal an eine der beiden Keimzellen der Gewerkschaftsbewegung, die Szczeciner Werft,

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