Mit der Zeit
Bergbauexperten. Im vierzehnten Jahrhundert kam es jedoch in einigen der tieferen Minen zu ausgedehnten Überflutungen, und im fünfzehnten waren dann die zugänglichen Bodenschätze zum größten Teil verschwunden. Mit ihnen gingen die Familien der Bergarbeiter, der Schmelzer, der Kupellierer und der Silberschmiede, aber auch die der Hilfskräfte aus den Erzmühlen und der Arbeiter › mit Eisen und Schlegel‹, deren Schläge einst durch das ganze Tal gehallt waren. Die bildsaubere grüne und braune Landschaft, durch die wir nun fuhren, sah aus, als sei sie eigens für eine teure Spielzeug-Eisenbahn modelliert worden.
Die Zufahrt zum Petrucher-Besitz ging über eine unauffällige Abzweigung auf der linken Straßenseite zwischen Unterzeiring und Möderbrugg. Das erstemal fuhr Simone daran vorbei, ohne etwas gesehen zu haben, und wir mußten umdrehen. Der einzige Wegweiser war ein kleines, in Brandmalerei gestaltetes Brett, das an einen jungen Baum genagelt war. Darauf stand: PETRUCHER – Zutritt verboten.
Es war ein steiler, sich nach oben windender Weg mit hohen, dichten Büschen zu beiden Seiten, so daß die Sichtweite auf ein paar Meter begrenzt war. Wir fuhren langsam den unbefestigten Weg hoch, in dem schwere Lastwagen tiefe Furchen hinterlassen hatten. Dann, nach einer Haarnadelkurve, wurde die Fahrbahn breiter, und wir waren auf Asphalt. Außerdem sahen wir uns geschlossenen Toren in einem hohen Zaun gegenüber. Den oberen Abschluß des Zauns bildeten Rollen aus Stacheldraht, und allerlei Hinweise untersagten den Zutritt, warnten vor Gefahren und drohten mit Strafen. Drei Wachposten in einer grauen Uniform und ein knurrender Hund beobachteten uns durch den Maschendraht. Einer der Männer konsultierte einen Zettel und nickte dann den anderen zu. Der Hundeführer brachte seinen Schützling dazu, ein wenig zurückzuweichen, damit seine Kollegen die Tore öffnen konnten. Dann wurden wir durchgewinkt. Der Hund fing wieder an zu knurren, als hinter uns der Kastenwagen durchfuhr.
»Jean-Pierre wird das gar nicht gefallen«, sagte Simone. »Er hat Angst vor abgerichteten Hunden.«
»Also der da hat mich auch nicht gerade begeistert. Was mich allerdings mehr beunruhigt, ist, daß wir schon so lange keinen Kontakt mehr mit dem Patron haben. Wer gibt diesen Typen am Tor die Anweisung, das holländische Team reinzulassen? Was wird aus den Abmachungen, die ich mit Rainer getroffen habe? Wer erzählt ihm die Sache mit den Carabinieri?«
Es war Chihani, die antwortete. »Der Umgang mit diesen Nato-Leuten hat Sie aufdringlich gemacht«, sagte sie schnippisch. »Alles, was Sie im Augenblick zu interessieren hat, ist Ihr Interview mit dem Herrscher. Sie reden ihn übrigens mit ›Eure Hoheit‹ an.«
Wo es um den Patron ging, war es augenscheinlich nicht nur Jean-Pierre, der eifersüchtig werden konnte. »Mit einem schlichten ›Eure Hoheit‹? Ich werde dran denken«, sagte ich.
Nun konnte ich über einer Wand aus Bäumen das steile Dach des Petrucher-Hauses sehen. Der Fahrweg bog scharf nach links ab, und dann waren wir auf einer von Planierraupen eingeebneten Lichtung, auf der zwei jener langen, schmalen Behelfsbauten standen, die Bauunternehmer gewöhnlich als Büros, Kantinen oder Umkleideräume hinstellen. Dahinter stand eine Reihe geparkter Autos. Der große Buick mit dem Zürcher Kennzeichen mußte der Wagen des Schweizer Architekten sein. Ein Opel und ein Taunus, die beide ein österreichisches, mit einem W beginnendes Kennzeichen hatten, wurden wahrscheinlich von den Wachposten gefahren. Ein wenig abseits davon standen drei weiße Wagen, alle nagelneu. Es waren zwei BMWs der 7er-Reihe und eine Limousine vom Typ Mercedes 600. Alle drei hatten provisorische westdeutsche Zollnummern. Ein weiterer Wachposten mit einem Hund winkte uns auf den Parkplatz neben dem Buick.
Ich konnte nun das ganze Haus sehen. Es stand auf einer Art Felsvorsprung am Fuß eines Berghanges, an dem es regelrecht zu kleben schien. Das war natürlich nicht der Fall, aber Simone, die alles über die Petrucher in Erfahrung gebracht hatte, hatte auch diesen Effekt erklärt. Fast alle alten Minen im Tal hatten als kleine Tagebau-Betriebe begonnen und sich auf die Ausstriche an den Hängen konzentriert. Als man den Erzadern immer weiter in den Berg hinein gefolgt war, hatten sich die ursprünglichen Löcher im Boden in Stollen verwandelt, horizontale Korridore in den Berghang hinein. Das Graben von Schächten in diesen Korridoren war die dritte
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