Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit der Zeit

Mit der Zeit

Titel: Mit der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
Vom Netzwerk:
eine ganze Sammlung alter Münzen. Dr. Petruchers Datierungssystem beruhte auf folgerichtigem archäologischem Denken. Wenn man ein Objekt findet, das sich – wie etwa eine Münze – einigermaßen sicher datieren läßt, dann ist die Wahrscheinlichkeit meistens groß, daß andere dort gefundene Objekte aus derselben Zeit stammen. Ich betrachtete die übrigen Ausstellungsstücke mit gewachsenem Respekt. An der Wand fand ich Teile einer alten Förderhaspel, einen kleinen Eisenschlitten und einen Eimer, der offenbar aus Rindsleder war, denn in der Beschreibung konnte ich etwas von einem ›Ochsen‹ entziffern.
    Das interessanteste Objekt im Museum war jedoch Dr. Petruchers Versuch, eine Karte von der Mine anzufertigen. Es hing an der Stirnwand, und zwar so hoch, daß ich mich auf einen Stuhl stellen mußte, um es genau ansehen zu können. Es sah aus wie die Querschnittzeichnung von einem riesigen Schwamm. Der Doktor war auch ein begabter Zeichner gewesen, und am Rand des Schwammes hatte er in Zeichnungen dargestellt, wie seiner Meinung nach diese alten Bergarbeiter bei ihrer Arbeit ausgesehen haben mußten. In den tiefer liegenden Stollen, so schien es, hatten sie im allgemeinen im Liegen gearbeitet; in winzigen Tunnels, flach auf dem Bauch oder auf der Seite liegend, hatten sie auf den überhängenden Kalkstein eingehackt. Stehen konnte man in dem Schwamm nur in den höher gelegenen Stollen, wo die mit Erz gefüllten Körbe hochgezogen worden waren, oder am Fuß der Lüftungsschächte, die von oben in den Berg getrieben worden waren. Es gab auch die Zeichnung einer Entwässerungspumpe; sie bestand aus vielen Schaufeln oder Schöpfkellen, die auf eine lange rotierende Kette montiert waren, und die untere Schleife dieser Kette blieb im tiefen Schachtsumpf unter Wasser. Dr. Petrucher hatte auch versucht, die Größe der unterirdischen Anlagen auszurechnen, obschon ihm offensichtlich die Schwierigkeit, über bloße Schätzungen hinauszugehen, zu schaffen gemacht hatte. Da kam ihm allerdings seine Ausbildung als Mediziner zugute, denn dadurch wußte er, wie man bloße Vermutungen überzeugend an den Mann brachte. Er räumte zwar ein, daß es Vermutungen waren, aber er tat das auf lateinisch. Magnitudo quod cogitari potest , hatte er in zierlichen Schnörkeln bescheiden über seine Schätzungen geschrieben. Übersetzt aus dem Lateinischen sahen sie folgendermaßen aus: Größte meßbare Tiefe – 280 Meter, Größte Breite – 400 Meter, Luftvolumen im Innern, wenn nicht überflutet – 8 Millionen Kubikmeter, Luftvolumen im Innern bei maximaler Überflutung (1904) – 2 Millionen Kubikmeter.
    »Und was halten Sie von alldem, Mr. Halliday?« fragte Zander.
    Ich hatte die große Tür offen gelassen, um mehr Licht zu haben, aber auch so war er sehr leise hereingekommen. Seine Hände waren in der ›Frisch-geschrubbt‹-Position, die ich inzwischen als Anzeichen schneller Gedankengänge erkannte, und die Augen lächelten zu mir herauf. Was mich verblüffte, war, daß er ein Hemd mit Krawatte und einen wunderschön geschnittenen grauen Mohairanzug trug.
    »Was ich von dieser Mine halte? Sie kommt mir vor wie ein Schwamm«, sagte ich.
    »Denken Sie lieber an eine Lunge, Mr. Halliday, dann wird Ihnen alles klarwerden.«
    Ich stieg von dem Stuhl herunter. »Simone hat Sie ins Bild gesetzt? Sie sind mit den Plänen einverstanden?«
    »Was Sie gemacht haben, war wirklich sehr gut, Mr. Halliday, und Sie haben sehr hart für uns gearbeitet. Ich sagte Ihnen ja, Sie seien für uns. Jetzt sehen Sie’s, ich hatte recht. Der Gedanke, die österreichischen Fernsehleute als eine Art Eskorte zu benutzen, war sehr hübsch.«
    »Hübsch sagen Sie? Heißt das, daß der Plan Ihrer Meinung nach nicht funktionieren wird?«
    »Bis zu einem bestimmten Punkt wird er, glaube ich, ganz gut funktionieren.« Die besondere Art seines einfältigen Lächelns ließ das weniger gönnerhaft erscheinen, als es sich anhörte.
    »Wenn er so lange funktioniert, daß wir unversehrt bis zur italienischen Grenze kommen, dann hat er, würde ich sagen, erstaunlich gut funktioniert.«
    »Vielleicht«, sagte er zerstreut.
    »Vielleicht was?« Ich begann mich zu ärgern.
    »Vielleicht haben die gar nicht vor, in Österreich zuzuschlagen. Ich glaube, ich würde es an ihrer Stelle nicht versuchen. Ein reibungsloser Rückzug ist für die äußerst wichtig.«
    »Dann brauchen wir eigentlich gar keine Eskorte? Wollen Sie das damit sagen?«
    »Nein, nein, Mr. Halliday. Die

Weitere Kostenlose Bücher