Mit der Zeit
Hintergrund?«
»Reden wir zuerst mal über den Vordergrund«, sagte ich. »Was ich brauche, ist zunächst mal ein Brustbild, gerade noch so, daß man sieht, daß er auf diesem eigenartigen Stuhl sitzt. Dann gehen Sie langsam näher heran, so nahe wie möglich. Wir wollen die Haare auf seinem Gesicht sehen, die Augen, die Lippen, die Zähne und die Zunge; das ist mir so wichtig wie das, was er sagt, falls er überhaupt etwas zu sagen hat. Wenn wir mit ihm fertig sind, oder er mit uns, bringen Sie den Hintergrund bei den nachgestellten Szenen ins Bild, also bei den Aufnahmen, wo ich ihm zuhöre und die zwei, drei Fragen stelle, die eine Antwort gebracht haben – falls es die überhaupt gibt.«
»Rainer sagte, wir brauchten möglicherweise eine Menge Filmmaterial.«
»Hoffentlich hat er recht. Vielleicht stehen wir am Ende mit sehr wenig da. So oder so, Zeit, daß wir uns rühren.«
Klüvers stand auf. »Ihr hört, was er sagt. Gehn wir an die Arbeit. Wenn nichts dazwischenkommt, können wir morgen in München unser Geld abholen und übermorgen zu Hause sein.«
Sie machten drei Fahrten mit dem Aufzug. Ich holte einen Pullover aus meinem Gepäck, ging dann über die Treppen nach unten, um ihnen nicht in die Quere zu kommen, und sah zu, wie sie aufbauten. Ich dachte auch weiter darüber nach, wie ich das Interview führen konnte. Zuerst würde ich ihn natürlich vorstellen, erklären, wer ich war und wo wir waren, im Innern einer stillgelegten, tausend Jahre alten Silbermine im österreichischen Bundesland Steiermark. Eine kurze Erklärung noch, weshalb wir da waren, und dann würde ich ihm meine erste Frage stellen. »Eure Hoheit, ich würde gerne damit beginnen, daß ich Sie frage …«
Und an der Stelle würde der Faden reißen.
Bis etwa um drei spielte ich das Double des Herrschers, damit der Kameramann die Figur auf dem großen Stuhl ausleuchten und der Tontechniker seine Probleme lösen konnte, und diese Beschäftigung half mir, die schlimmsten Ängste zu verdrängen. Außerdem hielt sie mich warm. Wie der Erste Sekretär gesagt hatte, blieb die Temperatur in dem oberen Stollen um diese Jahreszeit Tag und Nacht bei neun Grad Celsius oder knapp darunter. Es gab zwar keinen Wind oder wahrnehmbaren Luftzug, der die Luft hätte kälter erscheinen lassen, als sie tatsächlich war, aber es war auch so kalt genug. In meinem Haus hätte der Thermostat längst die Heizung eingeschaltet.
Um drei Uhr ging ich hinüber zu dem Stuhl, von dem aus ich das Interview führen wollte, und begann auf die Uhr zu sehen. Fünf Minuten später ließ ein lautes Summen im Wetterschacht B darauf schließen, daß der Aufzug nach oben geholt wurde. Nur würde er diesmal keine Kabel und Lampen herunterbringen. Laut Simone hatte der Herrscher nur eine gute Angewohnheit: er war pünktlich. Wenn er eine Person oder eine Gruppe nicht gerade absichtlich warten lassen wollte, verspätete er sich nur selten um mehr als eine Viertelstunde. Das Summen verstummte vorübergehend und kam dann wieder näher.
Als er in dem Tunnel erschien, hörte ich den Kameramann leise fluchen und an den Lampen herumhantieren. Der Herrscher hatte seine arabische Kleidung mitsamt dem Kopfschmuck abgelegt und trug nun einen blauen Anzug mit Weste und eine dunkle Krawatte. Irgend jemand mußte ihm von der Abneigung der Fernsehleute gegen bestimmte Farben erzählt haben, denn auch sein Hemd war blau. Tatsächlich hat der Grundsatz, daß bei Interviews ein blaues Hemd zu tragen sei, bei der modernen TV-Ausrüstung keine Gültigkeit mehr. Als Kontrast zu der fahlen Gesichtsfarbe des Herrschers war allerdings das Hellblau gut gewählt. Was mir jedoch am meisten auffiel, als ich mit einer Verbeugung auf ihn zuging, um ihn zu seinem Fernsehthron zu geleiten, war die lebhafte Färbung seiner Wangen. Ich bemerkte auch, daß der hinter ihm herwatschelnde Erste Sekretär irgendwie beklommen wirkte. Meine Gedanken fingen nun wirklich an, sich zu überschlagen.
Klüvers und ich hatten schon vorher die Möglichkeit erwogen, mit Make-up zu arbeiten, und dann beschlossen, es nicht zu riskieren. Dem Herrscher war durchaus zuzutrauen, daß er den Vorschlag, ein Make-up aufzulegen, als eine unmännliche Zumutung betrachtete. Nur wenn er anfangen sollte, unter den heißen Lampen zu schwitzen, würde jemand vorschlagen, den Schweißglanz mit etwas Puder wegzuwischen. Die Idee, daß er aus eigenem Antrieb Make-up benützen könnte, war uns nicht gekommen. Doch als er nun in das
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