Mit der Zeit
eine Laterne, aber die schwache Glühbirne verbreitete viel zu wenig Licht, als daß man die unebene Oberfläche der Pflastersteine und die große Lücke in einer der Stufen hätte sehen können.
Chihani ging mit der Taschenlampe voraus. »Folgen Sie mir bitte.«
»Was ist das für ein Gebäude?«
»Früher war es ein Hotel.«
Als wir drin waren, konnte ich das selber sehen. Es war eines dieser alten, schäbigen, kleinen Hotels gewesen, die vor den Zeiten der Motels bevorzugt von Handelsvertretern mit festen Tagesspesen aufgesucht wurden, und es sah immer noch danach aus. Hinter dem ehemaligen Empfangsschalter und unter einer Batterie leerer Postfächer mit Schlüsselhaken aus Messing, von eins bis einundzwanzig durchnumeriert, saß ein fettes Mädchen mit langen schwarzen Haaren und blaugetönten Brillengläsern. In der Eingangshalle roch es stark nach alter Seife und Teppichstaub, durchsetzt mit den Spuren eines phenolhaltigen Desinfektionsmittels. Im Radio in einem nahegelegenen Zimmer lief ein Programm mit Popmusik. Das fette Mädchen blickte bei unserer Ankunft von dem Buch auf, das sie gerade las und drückte, als Chihani mit den Fingern schnalzte, auf einen Schalter an der Wand.
Gegenüber vom Empfangsschalter führte eine Treppe nach oben. Chihani, die vorausging, blickte sich nach mir um. »Auch hier muß man vorsichtig sein«, sagte sie. »Man kann da leicht stürzen.«
Das konnte man in der Tat. In derartigen Hotels ist, von den Außenmauern einmal abgesehen, im Lauf der Jahre fast alles von Besitzern umgebaut worden, die sich – gewöhnlich ohne Erfolg – bemühten, mit den veränderten Ansprüchen an Komfort und Bequemlichkeit Schritt zu halten. Beim nachträglichen Einbau von Badezimmern und Versorgungsleitungen ist in den beengten Hotels den Treppenhäusern immer übel mitgespielt worden. Dieses hier schien für die Benutzung durch Bergziegen umgebaut worden zu sein. Es war eine Art Wendeltreppe, und die Stufen waren für die schmalen Trittflächen zu hoch. Der Teppichbelag war durchgetreten und gab einem keinen Halt. Man klammerte sich an das schmale Eisengeländer, während man mit den Zehen nach einem Halt tastete und versuchte, das laute, knackende Geräusch zu ignorieren, das jede Bewegung begleitete. Wenn man oben ankam, empfand man Erleichterung und wußte gleichwohl, daß das Hinuntergehen noch schlimmer werden würde. Es konnte einen in einem solchen Haus nicht überraschen, daß in ein, zwei Meter Abstand der Gang eine Zickzacklinie beschrieb und daß genau ins Zentrum dieses Zickzacks eine Tür eingebaut worden war. Es war das Zimmer mit der Nummer 17.
Chihani klopfte mit der Schnalle ihrer Schultertasche leicht gegen die Tür.
Als ich meinen Freund aus der Nachrichtenagentur um eine äußerliche Beschreibung Zanders gebeten hatte, hatte er mir erwidert, er könne da kaum helfen. Sicher, er hatte Bilder, aber die waren zweiundsechzig zur Zeit der Unabhängigkeitsfeiern in Algerien aufgenommen worden. Zander war als eines der lächelnden Gesichter in einer Gruppe von Politikern identifiziert worden, die auf der Rollbahn des Flughafens Maison Blanche vor einer DC 3 an einer Gangway der Air France posierten. Wie oder von wem er identifiziert worden war, das wußte Gott allein. Die Bilder waren von schlechter Qualität, und lächelnde Gesichter ähnelten sich – jedenfalls auf Schwarzweißfotos – sehr stark. Nützlicher wäre nach all diesen Jahren wahrscheinlich eine mündliche Beschreibung. In einer der Geschichten über die Zander-Brochet-Operation hatte es geheißen, er habe einen Kopf wie eine Steinfigur von der Osterinsel.
Wenn man nur von der äußeren Form ausging, dann hatte der Mann, der nun die Tür mit der Nummer 17 öffnete, einen derartigen Kopf. Das sonnengebräunte Gesicht war lang und schmal, mit einem vorspringenden Kinn und schmalen Lippen. Seine Erscheinung hatte jedoch nichts Distanziertes oder Finsteres oder Abschreckendes an sich, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Er war klein und breitschultrig und trug nichts als einen blauen Frotteemantel und ein Paar Sandalen. Er hatte einen vollen Haarwuchs, dicht und weiß, und ein Dreieck aus grauem Flaum auf der Brust. Die Konturen eines Mundes, der so leicht Warnungen hätte vermitteln können, waren hier ständig zu einem schiefen, einfältigen Lächeln verzerrt, das nur verschwand, wenn die Lippen zum Formen eines Vokals gebraucht wurden. Erst nach mehreren Minuten wurde mir klar, daß einem die Maske nichts
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