Mit dir an meiner Seite
über den Aufbau des klassischen Klaviers, weil er dachte, dass es ihr gefallen würde. Ja, er unterrichtete gern, aber er merkte, dass er immer müder wurde. Die Stunden strengten ihn sehr an, während er früher Energie daraus geschöpft hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben machte er regelmäßig einen Mittagsschlaf.
Im Laufe der Zeit schlief er tagsüber länger und länger, oft zwei Stunden, und beim Aufwachen hatte er meistens Magenschmerzen. Als er eines Abends Chili con Carne kochte, durchzuckte ihn plötzlich ein scharfer Schmerz, er krümmte sich zusammen und stieß dabei den Topf vom Herd. Tomaten, Bohnen und Hackfleisch - alles lag auf dem Boden. Er japste nach Luft, und mit der Zeit ließ der Schmerz zwar nach, aber ihm war klar geworden, dass etwas mit ihm nicht stimmte.
Er ließ sich vom Arzt einen Termin geben, wurde dann zum Röntgen und zu weiteren Untersuchungen ins Krankenhaus geschickt, und während er zuschaute, wie sein Blut in die Teströhrchen lief, dachte er an seinen Vater und daran, wie der Krebs seinem Leben ein Ende gesetzt hatte. Und da wusste er, was der Arzt ihm sagen würde.
Beim dritten Termin erfuhr er, dass er recht gehabt hatte.
»Sie haben Magenkrebs«, eröffnete ihm der Arzt und holte tief Luft. »Und von den Untersuchungen wissen wir, dass der Krebs bereits Ihre Bauchspeicheldrüse und die Lunge angegriffen hat.« Der Mann klang unbeteiligt, aber freundlich. »Sie haben sicher viele Fragen, aber ich möchte Ihnen gleich sagen, dass es nicht gut aussieht.«
Als sein Vater starb, hatte Steve viel recherchiert. Er wusste, was es bedeutete, wenn sich Metastasen gebildet hatten. Er wusste auch, was es bedeutete, wenn der Krebs schon die Bauchspeicheldrüse befallen hatte. Ihm war klar, dass seine Überlebenschancen gleich null waren, und statt dem Arzt Fragen zu stellen, schaute er stumm aus dem Fenster. Auf dem Sims saß eine Taube, ganz dicht an der Scheibe. Sie ahnt nicht, was sich hier im Raum gerade abspielt, dachte Steve. Man hat mir gerade mitgeteilt, dass ich bald sterben werde, und der Arzt möchte gern, dass ich darüber spreche. Aber es gibt nichts zu sagen, oder?
Unbewusst erwartete er, die Taube würde zustimmend gurren, aber sie zeigte natürlich keine Reaktion.
Ich werde bald sterben, dachte er wieder.
Er faltete die Hände und wunderte sich, dass sie nicht zitterten.
»Wie viel Zeit habe ich noch?«
Der Arzt schien richtig erleichtert, dass er die Stille endlich durchbrochen hatte. »Ehe wir darüber sprechen, möchte ich mit Ihnen über die verschiedenen Therapiemöglichkeiten reden.«
»Es gibt keine«, entgegnete Steve. »Das wissen wir beide.«
Falls sich der Arzt über seine Reaktion wunderte, ließ er sich nichts anmerken. »Es gibt immer mehrere Optionen.«
»Aber keine Heilung. Sie meinen den Erhalt der Lebensqualität.«
Jetzt legte der Arzt sein Klemmbrett beiseite. »Ja, das stimmt«, sagte er.
»Wie können wir über Lebensqualität reden, wenn ich nicht weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt? Wenn ich nur noch ein paar Tage habe, könnte es heißen, dass ich am besten gleich verschiedene Telefonanrufe erledige.«
»Es bleiben Ihnen mehr als ein paar Tage.«
»Wochen?«
»Ja, selbstverständlich.« »Monate?«
Jetzt zögerte der Arzt. Doch etwas in Steves Gesicht sagte ihm, dass sein Patient erst lockerlassen würde, wenn er die Wahrheit wusste. Er räusperte sich. »Ich mache das schon sehr lange und bin zu der Erkenntnis gekommen, dass solche Vorhersagen eigentlich nichts bringen. Zu vieles liegt außerhalb des medizinischen Bereichs. Beispielsweise kann es mit Ihrer spezifischen genetischen Disposition zusammenhängen, mit Ihrer Einstellung zu der Krankheit. Wir können nichts gegen das Unvermeidliche tun, aber das ist auch nicht das Entscheidende. Sie sollten einfach versuchen, aus der Zeit, die Ihnen noch zur Verfügung steht, das Beste zu machen.«
Steve musterte den Arzt aufmerksam. Seine Frage war immer noch nicht beantwortet. »Habe ich noch ein Jahr?«
Der Arzt schwieg. Und dieses Schweigen sagte alles. Als Steve die Praxis verließ, atmete er tief durch. Keine zwölf Monate mehr. Das wusste er jetzt.
Später, am Strand, begriff er erst, was das hieß.
Er hatte Krebs im fortgeschrittenen Stadium, und es gab keine Aussicht auf Heilung. Innerhalb der nächsten zwölf Monate würde er sterben.
Der Arzt hatte ihn noch mit Informationen versorgt, mit verschiedenen Broschüren und Internetadressen, aber auf dem Weg zu
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