Mit dir an meiner Seite
schlechter, und sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil es ihr gar nicht aufgefallen war. Sie war viel zu sehr mit sich und ihrem eigenen Leben beschäftigt gewesen, um das Leid ihres Vaters wahrzunehmen.
Als er die Arme um sie schloss, schluchzte sie noch heftiger. Bald würde diese schlichte Geste väterlicher Zuneigung nicht mehr möglich sein. Ronnie dachte daran, wie wütend sie bei ihrer Ankunft auf ihn gewesen war. Sie war sofort davongerannt, und der Gedanke, ihn auch nur zu berühren, war für sie so unvorstellbar gewesen wie eine Reise ins Weltall. Sie hatte ihn gehasst. Und jetzt liebte sie ihn so sehr!
Im Grunde war sie froh, dass sie sein Geheimnis nun kannte, auch wenn es ihr lieber gewesen wäre, sie hätte so etwas nicht erfahren müssen. Sanft strich er ihr über den Kopf. Nicht lange, und er würde dazu nicht mehr imstande sein. Er würde gar nicht mehr bei ihr sein. Ratlos schloss sie die Augen und versuchte, den Gedanken an die Zukunft zu vertreiben. Sie konnte ihn nicht gehen lassen. Sie brauchte ihn - er sollte ihr zuhören, wenn sie Kummer hatte, er musste ihr vergeben, wenn sie Fehler machte. Sie brauchte seine Zuneigung, so wie er sie ihr den ganzen Sommer über geschenkt hatte. Sie brauchte ihn, für immer. Und gleichzeitig wusste sie doch, dass genau das nicht möglich war.
Sie schluchzte herzzerreißend an seiner Brust, wie das Kind, das sie nicht mehr war.
Später beantwortete er ihre Fragen. Er berichtete von seinem Vater und von den vielen Krebserkrankungen in seiner Familie. Er schilderte die Schmerzen, die ihn seit Anfang des Jahres quälten. Bestrahlungen würden nichts mehr helfen, sagte er, weil die bösartigen Zellen schon zu viele Organe befallen hatten. Ronnie stellte sich vor, wie diese Zellen von einer Stelle in seinem Körper zur nächsten wanderten, erbarmungslos, und wie sie eine Spur der Zerstörung hinterließen. Konnte er denn keine Chemotherapie machen? Aber seine Antwort war die gleiche wie zur Bestrahlung. Es handelte sich um eine sehr aggressive Krebsart, die sich nicht aufhalten ließ, und durch die Behandlung würde er sich noch viel elender fühlen, als wenn gar nichts unternommen wurde. Er erklärte ihr, was »Erhalt der Lebensqualität« bedeutete, und als Ronnie das hörte, war sie wieder böse auf ihn, weil er nicht schon früher mit ihr über seine Krankheit gesprochen hatte. Trotzdem spürte sie intuitiv, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Wenn sie von vornherein alles gewusst hätte, wäre der Sommer vollkommen anders verlaufen. Auch ihre Beziehung hätte sich anders entwickelt. Ach, sie wollte sich gar nicht ausmalen, wie alles gewesen wäre, wenn ... Es hatte ja sowieso keinen Sinn.
Ihr Vater war bleich, und das Morphium machte ihn schläfrig.
»Tut es weh?«, fragte sie.
»Nicht mehr sehr. Es ist viel besser geworden«, beruhigte er sie.
Ronnie nickte. Krampfhaft versuchte sie, das Bild der aggressiven Zellen aus ihrem Kopf zu verjagen.
»Wann hast du mit Mom darüber gesprochen?«
»Im Februar. Kurz nachdem ich die Diagnose bekommen habe. Aber ich habe sie gebeten, euch beiden nichts zu sagen.«
Ronnie versuchte sich daran zu erinnern, wie sich ihre Mutter in der Zeit verhalten hatte. Sie war doch bestimmt sehr traurig gewesen. Aber entweder hatte Ronnie es vergessen, oder sie hatte es nicht beachtet. Wie immer war sie nur mit sich selbst beschäftigt gewesen. Gern hätte sie sich eingeredet, dass sie sich grundlegend geändert hatte, aber ihr war klar, dass das nicht stimmte. Wegen ihres Jobs im Aquarium und weil sie immer mit Will zusammen gewesen war, hatte sie relativ wenig Zeit mit Dad verbracht, und diese Stunden konnte sie nie mehr nachholen.
»Aber wenn du mir alles gesagt hättest, wäre ich nicht so oft weggegangen. Ich hätte dich mehr unterstützen können.
»Für mich war es wunderbar, einfach nur zu wissen, dass du in der Nähe bist.«
»Aber vielleicht lägst du dann jetzt nicht im Krankenhaus.«
Wieder nahm er ihre Hand. »Vielleicht bin ich ja auch aus dem einzigen Grund nicht schon viel früher ins Krankenhaus gekommen, weil ich erlebt habe, wie du den Sommer genießt und dich verliebt hast.«
»Wie geht es weiter?«, fragte sie ihn. Er hatte nicht lange geschlafen, höchstens zehn Minuten. Jetzt drehte er sich wieder zu ihr um.
»Wie meinst du das?«
»Musst du im Krankenhaus bleiben?«
Sie hatte Angst gehabt, diese Frage zu stellen. Während ihr Vater schlief, hatte sie seine Hand gehalten
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