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Mit dir an meiner Seite

Mit dir an meiner Seite

Titel: Mit dir an meiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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seinem Auto warf Steve das ganze Material in den Abfall. Als er dann in der Wintersonne am verlassenen Strand stand, vergrub er die Hände tief in den Manteltaschen und schaute zum Pier. Angler standen am Geländer, und Spaziergänger schlenderten den Pier entlang. Wie konnten sie normal ihr Leben weiterleben, als wäre nichts geschehen?
    Er musste bald sterben. Sehr bald sogar. So viele Dinge, über die er sich ständig Sorgen gemacht hatte, spielten jetzt keine Rolle mehr. Seine Rente? Brauche ich nicht mehr. Wie sollte er seinen Lebensunterhalt verdienen? Hat sich erledigt. Sein Wunsch, jemand Neues kennenzulernen und sich zu verlieben? Das wäre der betreffenden Frau gegenüber nicht fair, und ehrlich gesagt war das Verlangen sowieso mit der Diagnose verschwunden.
    Es ist vorbei, sagte er sich immer wieder. In weniger als einem Jahr würde er sterben. Ja, er hatte geahnt, dass etwas nicht stimmte. Und vielleicht hatte er sogar erwartet, dass der Arzt ihm genau diese Nachricht überbringen würde. Aber die Erinnerung an den Moment, als der Arzt die Worte dann tatsächlich aussprach, ließ ihn nicht los. Immer wieder hörte er in seinem Kopf den Satz, wie bei einer altmodischen Schallplatte mit Sprung.
    Jetzt begann er zu zittern. Die Angst, die Einsamkeit! Er senkte den Kopf und schlug die Hände vors Gesicht. Warum hatte es ausgerechnet ihn getroffen?
     
    Am nächsten Tag rief er Chan an und erklärte ihr, dass er ihr keinen Klavierunterricht mehr geben könne. Danach traf er sich mit Pastor Harris, um ihm alles zu erzählen. Der Pfarrer erholte sich noch von den Verletzungen, die er bei dem Brand davongetragen hatte, und obwohl Steve wusste, dass es sehr egoistisch von ihm war, den Freund in diesem Zustand mit seinen Problemen zu überfallen, wusste er sich nicht anders zu helfen. Er hatte sonst niemanden, mit dem er reden konnte. Pastor Harris kam zu ihm, sie saßen auf der hinteren Veranda des Bungalows, und Steve berichtete von der Diagnose. Er versuchte, alles ganz nüchtern vorzutragen, aber seine Stimme versagte. Und am Schluss weinten sie beide.
    Danach machte Steve einen Strandspaziergang und fragte sich, wie er die kurze Zeit, die ihm noch blieb, verbringen wollte. Was war ihm das Allerwichtigste? Als er an der Kirche vorbeikam - zu diesem Zeitpunkt hatten die Wiederaufbauarbeiten noch nicht begonnen, aber die vom Rauch schwarz verfärbten Teile der Mauern waren eingerissen und abtransportiert worden -, starrte er auf das riesige Loch, in dem sich das Buntglasfenster befunden hatte. Er musste an Pastor Harris denken, an die unzähligen Vormittage, die er in dieser Kirche verbracht hatte, während das Sonnenlicht durch das farbige Glasmuster flutete. In dem Moment fasste er den Entschluss, ein neues Fenster zu schaffen.
    Einen Tag später rief er Kim an und erzählte ihr, was mit ihm los war. Kim begann hemmungslos zu schluchzen. Steve schnürte es die Kehle zu, aber er weinte nicht mit ihr, und instinktiv wusste er, dass er wegen seiner Diagnose nie mehr in Tränen ausbrechen würde.
    Später meldete er sich noch einmal bei Kim, um sie zu fragen, ob die Kinder den Sommer bei ihm verbringen könnten. Sie hatte zwar Bedenken, erklärte sich aber einverstanden. Weil Steve es so wollte, erzählte sie Ronnie und Jonah nicht, wie krank ihr Vater war. Es würde ein Sommer voller Lügen werden - aber was blieb ihm anderes übrig, wenn er seine Kinder noch einmal neu kennenlernen wollte?
    Als dann im Frühjahr die Azaleen blühten, machte er sich immer öfter Gedanken über Gott. Darüber zu grübeln war in seiner Situation unvermeidlich, stellte er fest. Entweder gab es Gott - oder nicht. Das bedeutete für ihn, Steve, dass er entweder die Ewigkeit im Himmel verbrachte - oder dass gar nichts mehr war. Irgendwie tröstete es ihn, diese Grundfrage immer wieder hin und her zu wenden. In seinem Inneren empfand er eine tiefe Sehnsucht, und er kam letztlich zu dem Schluss, dass Gott existierte. Aber er wollte seine Gegenwart in der Welt erfahren, menschlich fassbar. Und damit begann seine Suche.
    Dies war das letzte Jahr seines Lebens. Fast täglich regnete es, die Meteorologen sprachen vom nassesten Frühjahr seit Aufzeichnung der Wetterdaten. Der Mai hingegen war ganz trocken, als wäre irgendwo ein Wasserhahn abgedreht worden. Steve kaufte das Glas, das er für das Fenster brauchte, und begann zu arbeiten. Im Juni kamen seine Kinder.
    Immer wieder war er den Strand entlanggegangen, auf der Suche nach Gott.

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